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20 Prozent

Die kalte Lederjacke reibt er an meine Lehne. Immer wieder werde ich teilweise ruckartig nach vorne gedrückt. Hier in Tehran definieren sich Internetcafés ein wenig anders als wir das etwa gewohnt sind. Eine kurze Beschreibung der Lage bringt ein wenig Licht ins Dunkle: Vom Hostel aus wurde mir ein Internetcafé in unmittelbarer Nähe „empfholen“. Nun sind die Tage hier in Tehran regnerisch und versprechen nicht so viel an Aktivitäten. Letztlich packt mich auch ein wenig die Lethargie. Zudem habe ich vor mehr als zwei Jahren diese Stadt schon einmal gesehen. Natürlich ist die Stadt riesengroß und es wäre vermessen zu berhaupten man habe bereits Alles sehenswertes gesehen. Aber irgendwie sind die Distanzen zu groß. Trotz oder gerade wegen der Metro fühlt man sich nahezu erschlagen nach einem Tag durch diese Metropole. Mir hat jemand mal gesagt, einen Tag durch Tehran zu laufen wäre zu vergleichen wie eine Schachtel Zigaretten powerinhalieren. Und tatsächlich fällt mir das Atmen hier auch ein wenig schwieriger, was zugleich auch an den tatsächlichen Zigaretten liegen kann. Jetzt drifte ich aber komplett ab. Eigentlich befinde ich mich im Blog ja noch am Anfang der Türkei. 

Fast schon zwei Monate liegen nun also dazwischen. Es fällt mir wirklich nicht einfach wie ein Ping Pong zwischen diesen Zeiten gedanklich hin und her zu springen. Zumal dieser Raum, und somit habe ich meinen Gedankenszirkel schließen können, in dem ich mich befinde, mir nicht die Konzentration gibt die ich bräuchte. An dieser Stelle würde ich gerne für dem Leser die Möglichkeit anbieten eine Hörbuch Sequenz anstelle der Verschriftlichung in Anspruch zu nehmen. Einfach zurücklehnen, die Augen zumachen und sich ein Bild von der Situation machen in der ich gerade bin. Das Büro ist so groß wie ein etwas größerer Abstellraum. Wie eine Wahlkabiene hermetisch abgeriegelt sitze ich in der Ecke an diesem Computer der so laut ist wie, ja wie ein Flugzeug beim Starten. Die Frau am Schreibtisch schafft es gleichermaßen die Kundschaft abzufrühstücken, sowie ein Telefonat mit einer Person zu führen, ununterbrochen und mit Anschreien. Neben meiner Kabiene stehen drei Stühle. Alle komplett besetzt. Der Reihe nach gafft man mich an. Der letzte, ein älterer Herr mit Gehstock, muss sich extra nach vorne beugen um einen Blick auf mich erhaschen zu können. Ab und an grinse ich zurück. Der Mann mit der Lederjacke ist mittlerweile gegangen, dafür stapeln sich die Anliegen der Menschen und mich beschleicht das Gefühl, dass wohl der ein oder die Andere auch in den Genuss des Computers kommen möchte. Über meinen Platz trohnt das eingerahmte Foto von Khomeni, der mit seinem Blick mir nicht gerade mehr Ruhe vermittelt. Eine Frau mit Kleinkind setzt sich neben mich hin, das Kind brüllt unentwegt, es schlägt nach mir. Weil die Frau das Telefonat partout nicht beenden kann und der Computer so unfassbar laut ist, übertönen die Menschen in diesem Abstellraum das Geschrei des Kindes. ----- So und nun fange ich dann also an das Erlebte in der Türkei aufzuarbeiten? Das wird eine sicherlich interessante Erfahrung sein. 

Vom verregneten und versmogten Tehran beamen wir uns mal in das sonnige versmogte Istanbul. Wer kann sich noch an das martialische und überdramatische Ende des letztmaligen Blog-Eintrages erinnern? Man könnte meinen der Verfasser des Blogs ist in einen unvermeidbaren aber durchaus überflüssigen Verkehrsunfall mit schrecklichen Folgen geraten. Horrorszenarien und Sorgenfalten sind das von mir erwünschte Ergebnis. Richtig gemein, oder? Naja, dem ein oder Anderen dürften sicherlich paar Zweifel aufgekommen sein, wer soll denn sonst den Blog Eintrag verfasst haben? Der unnötige Spannungsbogen hat ein Kalkül. Natürlich habe ich mit dem Gedanken gespielt diese doch sehr unschöne Erfahrung für mich zu behalten oder es zumindest in diesem Blog unerwähnt zu halten. Also mal ganz den ulkigen Spaß beiseite ist es natürlich nicht toll den lieben Menschen zuhause ein ungutes Gefühl zu beschweren. Dass dies Wasser für die schon gut laufenden Mühlen ist, das steht außer Frage. Letztlich habe ich mich jedoch dagegen oder vielmehr dafür entschieden. Ich finde es wichtig Erfahrungen mit Menschen auszutauschen und Erlebnisse, seien sie noch so unschön, unverschönert aufs Papier zu bringen. Aus Allem schöpfe ich Wissen, bilde mir so meine Meinung und passe mich stetig den hießigen Gegebenheiten an. In einer recht bekannten Dokumentation eines World-Travellers wurde exakt die gleiche Situation gefilmt. Ein Mann meines Alters der sich bis vor die Toren Istanbuls vordrängt um sich dann am Folgetag in das Zentrum zu kämpfen. Sein Fazit: Nie wieder! Das war das bis dato gefährlichste was einem passieren kann. Keine noch so undurchsichtige Situation auf der Tour bot mehr Gefahren als es bei der Fahrt nach Istanbul war. Menschen mit schlechten Absichten gibt es überall auf dieser Welt. Ausgeraubt, bedroht, angemacht, verletzt wurde ich nie. Im Grunde liegt die Gefahr also nicht beim Menschen, sondern eher in dem was er wird wenn er sich in ein Auto setzt. Rücksichtslos, Unemphatisch und Unsolidarisch. Das sind wohl die Charaktereigenschaften die (leider einige) Autofahrer in der Türkei mit sich bringen. Dass dies nicht beabsichtigt und auch oft aus dem Alltagsstress resultiert ist klar. Um es vorweg zu nehmen: Es wird noch einiges auf mich zu kommen. Ich jedoch hatte die Schnauze voll und bin unmittelbar nach dem Vorfall von der großen Straße abgefahren. 

Ach ihr wollt wissen wie es unmittelbar nach dem Kontakt mit dem Auto weiterging? Nunja, mein Lenker war nach links um 90 Grad gerichtet, was beudeten würde, dass ich ungebremst in den von links kommenden Verkehr reinfahren würde. In Situationen wie diesen passiert aber etwas was wohl auf evolutionäre Gründe zurück zuführen ist. Ohne darüber nachzudenken, reiße ich das Lenkrad um und schaffe es um Haaresbreite noch die mit 80 km/H vorbei fahrenden Autos auszuweichen. Der Fahrer des Unfallautos fährt vorne weg, legt das Warnlicht ein und rollte zur Seite. Im Gesicht die Wut erkennbar, fahre ich zum Auto ran. Kurz bevor ich es erreiche, ändert der Fahrer seine Meinung und fährt weiter.... God bless you.

Ich komme unten an der Straße also an. Kurioserweise erstreckt sich vor mir ein unfassbar riesiges Hospital. Wohl das größte aus Istanbul, wie mir ein Mann, der gerade aus dem heranfahrenden Bus aussteigt, verrät. Er, im gebrochenem English, sieht wie aufgelöst ich mich an meinem Lenkrad vor Erleichterung und Fassungslosigkeit aufstütze. Anscheinend hat er vom Bus aus den Unfall mitverfolgen können. Zumindest stammelt er etwas von "you need a cay. lets drink a cay in the hospital..". Mir war so garnicht nach entspannt Cay trinken und erst recht nicht im Krankenhaus. Ich steige ab, mein Rad fällt um, mir egal. Muss mal kurz Reset drücken. Er neben mir "Cay Cay CAY CAY CAAAAAAAAAAAAAAY HOOOSPITAL". Das höre ich gefühlt und bitte freundlich mich kurz in Ruhe zu lassen. 

Taksim Platz mit Blick auf die noch nicht fertige neue Moschee
Taksim Platz mit Blick auf die noch nicht fertige neue Moschee

Nach diesem Ereignis kann ich getrost von post-traumatischen Zuständen reden. 2 oder mehrspurige Straßen werden kategorisch umfahren. Hupen, was eigentlich ganz normal und selbstverständlich für den Türken ist, bringt mich an den Rand der Verzweiflung. Und wenn ich dann mal an einer Ausfahrt vorbeifahren muss warte ich so lange bis der Verkehr sich etwas gelegt hat. Da ich also noch ein erhebliches Stück vom Stadtzentrum entfernt bin und die kleinen verwinkelten Straßen den breiten, durchlaufenden Straßen vorziehe, erreiche ich sichtlich gezeichnet zur Nachmittagsstunde den mit einem Meer von türkischen Fahnen geschmückten Taksim Platz in Beyoglu. Fahnen werden hier in der Türkei eine besondere Bedeutung beigemessen. Es gibt kaum einen Platz, kaum ein Park und erst recht keine Straße die nicht von mindestens 10 riesen Fahnen oder Wimpel geschmückt ist. Einmal habe ich einen Istanbuler gefragt ob er (der Staat) dem Bewohner eines Hauses eine Art Entschädigungsgebühr dafür gibt, dass er ihm das Tageslicht durch niedere (nationalistische) Beweggründe entzieht. Ich wurde quasi ausgelacht.

Vor Ort wird noch flott eben ein Apartment via AirBnb in unmittelbarer Nähe gebucht. Versichert wurde mir, dass das Apartment nach 17 Uhr frei ist und von mir angesteuert werden darf. 

Selten war ich in einem Moment wie diesem so müde, so ausgelaugt und so gereizt, obwohl ich die Nacht zuvor eigentlich genug Schlaf hatte. Irgendwie habe ich es dann noch geschafft mich auf eine Parkbank im bekannten Gezi-Park zu schleifen. Mein Hab und Gut wie eine Schlange umschlungen, den Kopf über die harte Armlehne gekippt - so falle ich in einen tiefen Schlaf. 

Flaggen zieren das Stadtbild Istanbuls
Flaggen zieren das Stadtbild Istanbuls

Ein Meer aus Sabber und Tauben. So wache ich auf. Mir ist wohl beim Schlafen meine Packung Sonnenblumenkerne aus der Tasche gefallen. Die Tasche unter meinem Mund blieb wohl auch nicht mehr trocken. Ich schaue auf die Uhr und bemerke dass ich zum Glück nicht verschlafen habe. Auf zur Unterkunft. Die mir zugeschickte Adresse ist ganz in der Nähe. Dort angekommen überkommt mich das gleiche Schicksal wie noch einst in Thessaloniki. Die in der Nachricht erwähnte Klingel des auch marode aussehenden Hauses existiert nicht. Ich klingel mich rum, keiner macht auf. Das Tor des Hauses öffnet sich, ein Mann brüllt mich zur Seite und fährt mit seinem Marktkarren raus. Das kann nie und nimmer ein AirBnb beherbergen. Auf der anderen Seite der Straße ist ein Haus wo offensichtlich Touristen rein und raus gehen. Aber eben mit der falschen Adresse. Ich - kein Internet - Verzweiflung - suche Hotel für Internetverbindung - quetsche mich an die Hauswand wie ein Türsteher um im Internet bleiben zu können - Leute drücken mir schon Gepäck in die Hand (no joke). Die Nachricht die ich an den Besitzer des Apartments schicke sah wie folgt aus: "Hey, its me Laurent from AirBnb, apparently u send me the wrong adress. Could you pls get to this place or send me the right adress? Thank you." Seine Antwort nach einer Stunde warten: "Hey man come place NOW okay??? i come okay!?" 

Also wieder zurück. Warten, warten, halt buisness as usual. Nach einer weiteren halben Stunde warten winkt mit ein Mann mit Entourage auf der anderen Straßenseite zu. Fassungslos verstehe ich dass eben das vermutete Haus gemeint ist. "Hey broooo whats up man?" Er schlägt mir seine Flosse in die Hand. Keine Entschuldigung. Ich erwähne mit einem leicht verschmitzten Lachen dass er ja wohl die Nadel auf Google Maps auf die andere Straße ausversehen gesetzt hat und ich somit paar Stunden umsonst und verwirrt wartete. Er, grinst mich an und sagt "Brooo now you are here, Weeeeeeelcome to Istanbul!" 

Die Kotze heruntergeschluckt versuche ich beim Eintreten des Apartments nicht die Tür einzutreten. Wie wirkte denn so das nette Stübchen auf mich? Ich kann kaum Worte dafür finden. Meine Seele wurde dort zusätzlich geschunden.

Die Herdplatte funktioniert nur sporadisch, es fehlen Küchenhandtücher, es existieren keinerlei Küchenutensilien. Als der Kühlschrank dann ausfällt beschließe ich schließlich meine deutsche Diskretheit ad acta zu legen und meiner Wut freien Lauf zu lassen. Letztlich gehe ich wie ein kleines Schoßhündchen, aber von Wut zerfressen, zum Host. Der Weg ist ja nicht weit, steht er mit seiner Entourage ja regelmäßig an meinen Zimmerfenster. Teilweise wird Shisha geraucht, manchmal wird ein Streit am Telefon ausgetragen und auch zwei Mal wurde mit Bogen geschossen. Den Atem immer in Nacken gespürt wollte ich diesmal aber meinen Frust freien Lauf lassen. Ich gehe also bestimmt und zielstrebig raus, hole aus und BAM. Meine Tür fällt hinter mir zu, ich schaue in die Runde. Bedröppelt taste ich meine Taschen ab. "Hey Bro, tell me you have Key, bro tell me!" Ähm ja......

Ich krieche also gefühlt wieder unter die Treppe. So langsam passe ich mich dem Image an. Wer jetzt meint, es wird ein Schlüsseldienst gerufen? Haha hier wird die Tür eingetreten. Kein Scherz, erst wird mit Werkzeugen dran gefuchtelt, was so auch schon dubios genug aussieht. Als alles nichts hilft muss die reine Gewalt aushelfen. Hach ja, was ein beruigendes Gefühl das ist, das meine Tür jederzeit aufgetreten werden kann, im Zweifel vom Hauseigentümer. 

Die Lage beruhigt sich wieder, ich jedoch möchte einen zweiten Versuch starten. Ich gehe raus, lass die deutschen Mundwinkel fallen, nehme diesmal meinen Schlüssel mit und konfrontiere den Host mit meinem Anliegen. Er beauftragt einen Bediensteten sich die Probleme anzuschauen und von mir erklären zu lassen. Ich zeige ihm also den kaputten Herd, den kaputten Kühlschrank, die komplett verschimmelte Dusche, die fehlenden Utensilien, und und und. Der nette Herr weiß auf alles aber immer eine Antwort parat zu haben die lautet: "Okay". Mehr gab es nicht zu sagen. Merkt man, dass das Englisch kaum oder fast garnicht vorhanden ist so fängt man plötzlich an auch rudimentäres Englisch zu sprechen. Sicherlich unterbewusst, da man davon ausgeht, dass dein Gegenüber den Inhalt so besser versteht. Ich zeige auf den Herd "Broken, no Energie!" Ich mache die Schublade auf "No tools", mache eine Schneidebewegung mit den Händen. Wie ein Vollhorst hampel ich rum um dann jedesmal "Okay" hören zu dürfen. Ich für meinen Teil denke mir - er wird es wohl verstanden haben. Zumindest werkelt er am Kühlschrank rum. Für mich gibt es hier nichts mehr zu tun und so beschließe ich die etwas angespannte Situation auf dem Hof mit Small-Talk zu besänftigen. Ach ja Small Talk war schon immer meine Stärke. 10 Minuten purer Qual war ich ausgesetzt. Dann erscheint "Okay" und setzt sich mit einem lauten Seufzen, das getane Arbeit mit Erfolg zum Ausdruck bringen soll, wieder auf seinen Platz. Was also hat sich verändert? Herd nun komplett kaputt, Kühlschrank kaputt - Stecker raus, keine Kochutensilien ABER ein Handtuch. Leider für das Bad. So ignorant wie man hier mit mir umgegangen ist, das kann wirklich nur noch mit Humor aufgenommen werden. Nach der Abreise habe ich dem Apartment bei AirBnb dafür mal eine umso salzigere Bewertung geschrieben. Über Seiten, was ich sonst nie tue, hole ich die Mecker-Keule raus und schwinge was das Zeug hält. Die Bewertung mir gegenüber vom Host: "Laurent ist super entspannt. Die Kommunikation war grandios. Wir haben nichts zu beanstanden." 

Leider überschatteten diese Erlebnisse und weitere Dinge, auf die ich später zurückkomme, so ein wenig die Zeit in der kulturellen Hauptstadt der Türkei. Doch beenden wir das Kapitel und widmen wir uns den schöneren Dingen. Davon gibt es ja einige in Istanbul. Diese pulsierende Stadt zieht einen auf Anhieb in den Bann. Instinktiv suchte ich mir bereits bei der Ankunft das Gebiet um den Taksim Platz als zukünftige und kurzweilige Heimat aus. Nicht ohne Grund, denn hieß es bereits schon in Deutschland dass dieser Teil der Stadt besonders progressiv und entspannt ist. Gut, entspannt ist Istanbul wohl kaum an einem Ort, doch trifft gerade Ersteres vollkommen zu. Paare, Mann Frau oder Mann Mann oder Frau Frau, laufen selbstverständlich Händchenhaltend und Armumschlugen durch die große Einkaufsstraße. Geschäfte und Interessen sind hier ganz klar auf Tourismus zugeschnitten. Besonders hervorzuheben ist das pulsierende Nachtleben. Queere Clubs und Bars werden von einem gemischten Volk besucht, es wird auf den Straßen offen Alkohol getrunken, Gras geraucht und viel gelacht. Die Preise haben sich spürbar an das Niveu Westeuropäischer Großstädte angepasst, aber natürlich alles noch im Rahmen. Ich jedenfalls hatte nie das Gefühl betrogen zu werden. Aufgrund der besonderen Umstände, auf die ich wie schon erwähnt später eingehen werde, blieb mir nichts anderes übrig als die meiste Zeit zuhause zu verbringen. Gehe ich mal vor die Tür, dann habe ich stets ein klares Ziel. Zum Essen gehe ich in ein Lokal welches ermöglicht sich wie in einer Kantine die Gerichte zusammen zu mixen auf die man gerade Lust hat. Der Unterschied zur Kantine ist - es ist lecker und frisch. Museen habe ich mit Ausnahme eines nicht besucht. Ziemlich frech bei ausmnahmslos Allen mindestens 10 bis sogar 15 Euro zahlen zu dürfen. Es wird wohl davon ausgegangen, dass eine Touri-Card erworben wird. Mit der lohnt es sich dann auch, wenn man denn auch Bock auf Alles hat. Da bereits das eine Musuem für moderne Kunst und Fotographie eine einzige Entteuschung war (Ich durfte nicht einmals meine 0,5 Wasserflasche mit rein nehmen/ von 5 Etagen waren zwei geschlossen), bedarf es keinem Erwerben einer Kombikarte. Stattdessen investierte ich meine Lira smarter in dem ich viel mit der Metro fuhr. Zwei bekannte und äußerst schön anzusehende Moscheen waren zu bestimmten Zeiten offen zugänglich, der Rest, wie etwa die große Hagia Sophia (die im übrigen von Außen wie der alte Sarkophag vom Atomreaktor in Tschernobyl aussieht) nicht. Wir wurscht, denn ähneln sich die Bauwerke von ihrer Sturktur her von innen ziemlich stark. Istanbul ist und bleibt ein Mysterium. Selbst in der langen Zeit in der ich dort war begleitete mich stets das Gefühl nicht mal annähernd den Großteil dessen gesehen zu haben, was sehenswert ist. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass die Stadt viele Facetten besitzt. Übrigens war ich auch einmal in einer Moschee Lebensmittel einkaufen. Tatsächlich gibt es eine Moschee im Herzen Istanbuls mit integriertem Supermarkt - wie awesome ist das denn? 

Rechts die Moschee "Hagia Sophia"
Rechts die Moschee "Hagia Sophia"
"BIM" - Der Supermarkt der sich in die Moschee reinfuscht
"BIM" - Der Supermarkt der sich in die Moschee reinfuscht

Unendlich dankbar bin ich dafür, dass zu diesem Zeitpunkt Can sich meiner Anliegen angenommen hat. 

Denn so verloren wie ich mich am Anfang fühle, umso herzlicher verlief die kommende Woche. Statt mich in Selbstmitleid zu ertränken, versuche ich Kontakte zu knüpfen. Auf einer App lerne ich Can kennen. Die Chemie stimmt bereits mit den ersten Nachrichten. Ich bin so froh, plagen mich doch gerade in dieser besonderen Stadt so viele Probleme. Da wäre das Problem mit diesem "Etwas". Nun ja wie kann ich das beschreiben. Zwischen linkem Oberschenkel und Scharmbereich schwillt da seit geraumer Zeit was an. Bereits in vorherigen Blogeinträgen erwähnte ich dies. Seit Thessaloniki wächst da etwas an was ich bis dato gekonnt ignorieren konnte. Denn schmerzen tut es nicht, beim Fahren störte es nicht. Nur eben am letzten Tag bei der unfassbar anstrengenden und nervenaufreibenden Fahrt überkam mich ein stechendes und dauerhaft anhaltendes Brennen. Je gestresster ich wurde umso intensiver wurde der Schmerz. Und aus dem zuvor kleinen Hubbel ist nun ein stattliches "Etwas" herangereift. Die Hoffnung, dass es mit der Zeit abschwillt, schwindet von Tag zu Tag. Und so kommt es wie es kommen musste. Unser erstes "Date" findet im besten Privatkrankenhaus der Stadt statt. Can wollte bereits im Vorfeld alles über das "Etwas" wissen. Da er im Vermarktungsbereich von Medikamenten beruflich tätig ist und auch einige Ärzte kennt, wollte er sich ein Bild machen. Beschämend informiere ich ihn und zeige Bilder, die er dann umgehend Ärzten zukommen lässt. Beruhigendes habe ich dann natürlich nicht erfahren dürfen. Jetzt sitze ich ihm also gegenüber, sichtlich bestürzt darüber, dass wir den ersten Kaffee in einer Kantine vor dem Krankenhaus trinken. Aber was soll man machen. Somit haben wir zumindest den immer wieder unangenehmen Small-Talk umgehen können. Dann ist es irgendwann auch Zeit und ich wage mich in die Notaufnahme. Die Eingangshalle, die Toiletten, die Reception, die Deko, ja selbst die Ärzte und Krankenpfleger/innen erinnerte einen vielmehr an einem Luxushotel als an ein Krankenhaus. Warme Farben schmücken die Wände, es ist unfassbar stilvoll eingerichtet. Und das beste: Es sind keinerlei Patienten in der Wartehalle. Fast schon festlich zeremoniell empfangen mich die Bediensteten. Can übersetzt, ich stehe nickend daneben. Der Chefarzt selbt konnte perfektes Englisch sprechen, was mich nicht ganz nutzlos erscheinen lässt. Ich werde auch umgehend in ein Zimmer verfrachtet und liege nun da, umzingelt von 2 Ärzten, 2 Krankenplegerinnen und eben Can. Normalerweise ist diese Situation selbsterklärend und bedarf keinesfalls Scharm und unangenehme Gefühle hervorzurufen. Jedoch fand ich das in Anwesenheit von Can ein wenig befremdlich. 

Bummeln mit Can
Bummeln mit Can

Nun stehe ich vor die Wahl hier zu bleiben und mich zwei Untersuchungen zu unterziehen, welche Kosten nach sich tragen oder ein staatliches Krankenhaus aufzusuchen, bei dem ich wohl anstelle eines 5 Sterne Hotels eine bis zur Decke mit Patienten gefüllte Notaufnahme ohne Service und ohne weitere Untersuchungen erhalte. So sei es nicht unüblich dass eine Antibiotika Behandlung auf Vermutungen seitens des behandelnden Arztes die einzige Konsequenz sei. Ich mittlerweile zusehens eingeschüchtert und ängstlich stimme der ersteren Variante zu. Habe ich noch auf Verdacht einen Tag vor Eintritt in die Türkei eine Reiseversicherung für den Zeitraum beantragt. So kann ich jedenfalls noch darauf hoffen einmal mein Geld wieder zusehen. Wie viel es gekostet hat, das verrate ich an dieser Stelle nicht. 

Auf eine Blutuntersuchung folgt eine Ultraschalluntersuchung. Die zweite Ärztin persönlich bittet dafür mich auf eine Trage zu legen und redet unentwegt entspannend auf mich ein. Ich solle mir keine Sorgen machen, das gab es auch schon öfters hier. Tief Luft holend lehne ich mich zurück und lasse die Prozedur über mich ergehen. Kaum fährt sie mit dem eiskalten Gerät über die Stelle, runzeln sich die Stirnfalten. Wie bei einem Zahnarzt kann ich meinem Gegenüber anhand seines Blickes erkennen ob etwas unregelmäßig erscheint, mit dem Unterschied dass  die Mimik nicht durch einen Mundschutz verdeckt wird. So darf ich in den vollen Genuss eines entsetzt drein blickenden Gesichtsausdrucks kommen. Die Frau geht nun fester und öfter über die Stelle und greift schlussendlich nach dem Telefon. Flehend bitte ich sie um ihre ungeschönte Meinung. "Also das was ich sehe, das habe ich so noch nie gesehen. In der Größe, Form und Konsistenz ist es so einmalig. Das sieht nicht sehr gut aus und muss umgehend vom Arzt untersucht werden."

Das "........aber bleiben sie noch ganz entspannt, das heißt noch lange nichts. Warten wir die Blutwerte ab." habe ich nicht mehr mitgenommen. Wie von einem schwarzen Loch verschlungen nehme ich kaum noch meine Wahrnehmung wahr. Im Behandlungszimmer wieder zurück angekommen,Can, auf mich wartend, sieht das blanke Entsetzen in meinem Blick. Ich bekomme kaum noch Worte aus mir raus. Spätestens als dann der Chefarzt den Raum betrat und erwähnte, dass bei diesem Ausmaße eine 20 prozentige Wahrscheinlichkeit für Krebs des Lyphdrüsensystems bestehe, spätestens dann packt mich die Angst. Angst ist ein weitgefasster Begriff. Das habe ich an diesem Tag gelernt. Ich hatte oft Angst. Angst etwas verloren zu haben, Angst eine Klausur verhauen zu haben, Angst vor der Begegnung mit unliebsammen Verwandten und natürlich Angst vor dem Small-Talk. Aber hier pakte mich die blanke Angst. Panik überkam mich, plötzlich nehme ich meine Umwelt so verstärkt wahr, dass ich das Gefühl habe Patienten vom gegenüberliegenden Behandlungszimmer stehen neben mir und schreien mir ins Ohr. Kleinste Bewegungen von Gegenstände hören sich an als würden Becken auf den Boden krachen. Can bekommt dies natürlich mit und redet auf mich beruhigend ein. Man könnte sagen, dass ich ohne ihn garnicht erst ins Krankenhaus gegangen wäre, aber vermissen wollte ich ihn da gerade überhaupt nicht. Alleine wäre ich wahrscheinlich durchgedreht. Nach gefühlten Ewigkeiten tritt der Arzt in den Raum. Noch nie war die Sehnsucht nach Klarheit größer als in diesem Augenblick. Selbst wenn die überbrachte Nachricht nichts gutes bedeuten würde, so hätte ich Klarheit. Und als ob er nach Drehbuch arbeitet, verzieht er keine Miene. Er lächelt weder noch schaut er ernst.

"Herr Müller, es ist alles gut. Machen Sie sich keine Sorgen, es ist kein Krebs, es ist eine Entzündung ihres Lyphsystems - jedoch eine wirklich starke."

Blick auf den Westen der Stadt
Blick auf den Westen der Stadt

Can, dieser Tage viel mit seiner Arbeit beschätigt, versucht bei jeder Gelegenheit sich Zeit für mich zu nehmen. Und tatsächlich schaffen wir es hier und da uns zu sehen. Ich, derweil verdrugt mit Antibiotika für eine ganze Geflügelschredderfarm ausreichend, sieche vor mich hin. Einmal traue ich mich dann doch mal raus. Immerhin spielt heute Fenerbahce ein Heimspiel auf der asiatischen Seite von Istanbul. Es wäre für mich das erste Mal auf der asiatischen Seite zu sein. Und Fußball in der Türkei? Why not? 

Viel zu spät nehme ich die Metro. Über das Metro System von Istanbul halte ich mich mal lieber bedeckt. Wobei? Fuck it. Was hat man sich da bitte gedacht? In keiner Stadt habe ich mich so verloren gefühlt was das Metrosystem angeht wie eben in dieser Stadt. Du findest nie den richtigen Eingang, nichts ist vernünftig beschildert, keine Line ist mit der anderen sinnvoll verknüpft. Auf der Karte ist ein direkter Umstieg vermerkt, in der Realität muss man erstmal gefühlt 45 Rolltreppen und 450 Meter Höhe bezwingen um dann 3-4 Straßen entlang zulaufen um dann wieder in die nie endenden Tiefen runterzufahren. Bullshit!

So kommt es wie es kommen musste, ich lande nicht dort wo ich wollte, Zeit zur Korrektur gab es nicht. Mit den allerletzten verschlafenen Fans sitze ich nach 1 1/2 Stunden Chaos in der U-Bahn zum Stadion nach Fenerbahce. Ausgestiegen und von der Masse mitgeschliffen. Der ganze Strom fließt auf eine Brücke zu, danach ist erst einmal Feierabend. Ordner kontrollieren Tickets. Wie? Wo? Hä? Tickets? Hilfe! Und da wohl alle, also ausnahmslos ALLE ihr Ticket auf dem Handy haben, wird es wohl auch kein Schwarzmarkt geben. Das Spiel gegen ein eher mittelgutes Team ausverkauft - gut davon konnte man nicht ausgehen. Dass die Tickets mittlerweile nur noch als Club-Mitglied zu haben sind - das wiederum hätte ich durchaus zuvor in Erfahrung bringen können. Nun stehe ich also da wie ein begossener Pudel. Ich beschließe die Seite des Stadions zu wechseln. Außer einem Haufen auf dem Boden liegender Betrunkener ist das Bild jedoch das gleiche. Soll ich mich nun weiter durchschlagen, durchfragen, mich wichtig tun um eventuell als Funktionär eines anderen Klubs durchzufuschen? Dreistigkeit liegt mir einfach nicht, das können andere besser. Sowieso merke ich gerade wie schlecht es um mich gesundheitlich steht. Rapide geht es bergab. 

In einer Metro mit vielen alten Menschen, Schwangeren und Kinder, auf allen vorhandenen Sitzen verteilt, wie verhält man sich wenn die Ohnmacht nicht weit entfernt liegt? Natürlich lasse ich es mir nicht anmerken und lehne mich "lässig" an die Metrotür. Kommt eine Haltestelle ist das so als müsste ich mich auf einen 200 Meter sprint vorbereiten. Stehen Menschen auf und der Sitz wird frei gebe ich mich sofort geschlagen, als ob die Sitze Heiligtum der Istanbuler sind. Natürlich gibt dann der Körper irgendwann nach und so kippe ich zur Seite um. Ironischerweise ist es ein älterer Mann der mich gerade so noch auffängt. Menschen von allen Seiten fällt auf wie schlecht es um mich steht und bieten mir einen Platz und Wasser an. Eine Frau legt sogar ihre Hand auf meine Stirn und stellt fest dass ich extrem hohes Fieber habe. Es wird mir angeboten mich in ein Krankenhaus zu fahren. Ich lehne dankend ab, bedanke mich bei allen super freundlichen Menschen, bin aber dann auch froh auszusteigen. Es ist wirklich herzzerreißend zu sehen wie in einer so vielbeschäftigten Stadt am Abend die Menschen sich dennoch um einen kümmern wollen. Trotzdem sehne ich mich nach Ruhe und bin heil froh dann auch zurück im Apartment angekommen zu sein. 

Can ist das nicht entgangen. Er setzt viel daran, mir eine tolle Zeit hier in der Türkei zu bereiten. Er zeigt mir Ecken die er und seine Freunde in der Jugend öfters aufgesucht haben. Wir essen viel, reden über einiges. Er stellt sich mir seine Freunde vor, wir fahren ein wenig herum und haben eine tolle Zeit. Zwischenzeitlich bemühe ich mich um mein Visum für den Iran. Ich gehe zur Botschaft und muss feststellen, dass es nicht so einfach ist wie ich es vorab mir erhoffte. Durch ein Touristenbüro habe ich bereits von Deutschland aus eine Art "Einladung" organisiert, welche nötig ist um sich für ein Visum im Iran zu "bewerben". Mit dieser Einladung beantrage ich Online mein Visum und bekomme dafür ein Wisch den ich in der Botschaft in Istanbul vorlegen soll. Ich erhoffe mir also so schnell wie nur möglich mein Visum zu erhalten. 

Was ist noch passiert? Ach Ja natürlich: Ich besuche den ersten Bazaar auf meiner Reise. Was ein verrückter Moment. Wer mich kennt, der weiß dass ich mich in Bazaaren völlig verlieren kann. Wenn ich an die im Iran denke, dann geht mein Herz auf. Ganz so wie im Iran ist es nicht, jedoch gibt es Gemeinsamkeiten die einfach unglaublich schön sind. Sobald man nur in der Nähe ist herrscht ein chaotisches Klima. Kein Geschäft gleicht dem Nächsten. Menschen laufen mit Karren durch die ohnehin schon pickepacke vollen Gassen durch. Die Farben und Gerüche sind, anders wie in Geschäften, natureller Natur. Da hängt dann auch einfach mal ein Bein vom Tier zur Schau gestellt vor dem Fenster. Der über Jahre angesammelte Staub und die individual und einzigartig aufgestellten Läden strahlen eine geradezu graziele Selbstverständlichkeit aus. Alles verläuft in einem funktionierendem System, Ladenbesitzer werden regelmäßig mit Tee und Essen ausgestattet, selbstverständlich auch von Läden innerhalb des Bazaar Universums. Die meiste Zeit in der nichts verkauft wird, nutzt ein Jeder für Gossip Plauderein. In der Zeit in der fast der letzte Hauch Energie und Leben aus meinem Körper entfleucht tanke ich hier viel Kraft.

Nun zum Ende dieses Blogeintrags erwartet ein Jeder sicher dass ich noch was zu den letzten Tagen Istanbuls sage. Die herzzereissende Verabschiedung mit Can den ich so richtig in mein Herz schließen konnte. Oder die Verbesserung meiner gesundheitlichen Situation, wodurch ich schließlich wieder gestärkt die Weiterfahrt antreten kann. Und da war ja noch das Visum, das sollte ich nun schließlich auch mal in der Tasche haben. Schlussendlich ein gelungender Abschluss einer durchaus kurios verlaufenden Woche in Istanbul. Es lief ganz anders. Blut wurde vergossen, Tränen mussten fließen und körperlich musste ich eine merkwürdige Verwandlung erkennen. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Maman (Dienstag, 28 Januar 2020 20:05)

    und immer wieder so schön gechrieben ! Ich hoffe dir geht es viel viel besser ...
    Ich Liebe dich und pass sehr gut auf dich auf :) Gros bisous

  • #2

    Papa (Sonntag, 02 Februar 2020 10:27)

    Gefällt mir sehr wie du schreibst. Ich habe mir so viele Sorgen um Dich gemacht während deiner Zeit in Instanbul. Aber das ist ja normal für Eltern. Die machen sich immer Sorgen um ihr Kind. Schreib bitte noch mehr.