Blicken wir einmal zurück in die Zeit in der ich noch eifrig mich mit dem Gestalten der einzelnen Etappen auseinandergesetzt habe. Oder warte, viel besser noch. Fangen wir dort an wo die Idee dieser Reise noch in den Kinderschuhen ruhte. Es wird wohl so irgendwo vor 2 Jahren (Stand Oktober 2019) seinen Beginn gehabt haben. Damals genoss ich das sorgenfreie und vor Allem unbeschwerte Leben als Student in seinen vollen Zügen. Beinahe täglich lud ich Menschen zu mir nach Hause ein, es wurde viel geraucht bis Lungen schwarz und Köpfe vernebelt waren. Viel produktives kam dabei sicher nicht heraus, was uns aber nicht davor abhielt über Leben anderer Menschen zu senieren. Eine gute Möglichkeit dazu bot die große Online-Medienlandschaft mit ihren teils eindrucksvollen Dokumentationen über Natur, Tiere und Menschen. Gerade Letzteres ergab für uns einen Spielplatz an Alltagspsychologie an denen wir uns nie genug austoben konnten. Es stellte sich mir dabei primär jene Fragen nach dem "Was bewegt den Mensch dazu solche Handlungen zu unternehmen?" und "Wie erlebt dieser Mensch diese Situation ungeachtet der gesellschaftlichen Achtung oder Ächtung?"
So bin ich irgendwann dann auf Videos bei YouTube gestoßen, die wohl maßgeblich dazu beigetragen haben, dass ich mich für diese Reise hab entscheiden lassen. Über einen Zeitraum von über einem Jahr hat ein junger Mensch aus dem Süden von Bayern, mit einer damals sicherlich ausreichenden Kamera ausgestattet, von seiner Reise nach Asien erzählt. Ohne ein richtiges Filmteam aber mit umso größeren Ambitionen wollte er den Zuschauern das Gefühl geben Teil auf einer langen und verrückten Reise zu sein. Aus meiner Sicht konnte er dies in fast schon virtuoser Art authentisch und überzeugend rüberbringen. Nichts wirkte aufgesetzt, überspitzt dargestellt oder gestellt. Wenn wir von einem jungen Menschen reden, dann reden wir von einem damals 16 Jährigen Jungen der durch Länder wie dem Iran, der Türkei, den arabischen Emirate, Indien und Bangladesch fährt. Welches Argument er besaß, dass dazu reichte seine Eltern davon zu überzeugen ihn gehen zu lassen, das möchte ich noch heute gerne wissen. Wahrscheinlich wird es auch einfach seine fortgeschrittene Selbstständigkeit sein die gemixt mit der unbendigen Neugier und Sehnsucht zu einem schwer auszuhaltenden Zustand der Familie wurde. Ohne weiter darauf eingehen zu wollen dass das Alter wirklich verrückt ist und die Eltern somit eine Verantwortungslosigkeit in Kauf nahmen, betrachtete ich diesen Schritt als einen sehr mutigen und faszinierenden. Ausgestattet war der Jung nun wirklich nicht schlecht. Aus einer anscheinend wohlhabenden Familie stammend, fehlte es ihm an nichts. Das Equipment welches ich mit mir rumschleppe ist verglichen mit seinem wohl ein Haufen billiger Lumpen. Unterstützung erhielt er offensichtlich viel, verlässt er seinen Heimatdorf im Süden von Bayern ist er dann aber auf sich alleine gestellt.
Und so verfolgte ich intensiv seine Reise und kam dabei auch nicht dran vorbei mich an Stelle von ihm mir vorzustellen. "Also wenn der das schafft, dann sollte mir das doch auch gelingen!" Selbstgefällige Gedanken wie diese kommen natürlich auch. Es wirkt dabei alles so harmonisch. Als wäre die Reise ein Selbstläufer, das Radeln rückt zur Nebensache und wenn eine Panne folgt oder mal der Körper streikt gibt es ja überall in diesem Abenteuer Menschen die einem helfen. Fast schon wie ein Spielfilm.
Kurz darauf begannen die Fluseln im Kopf sich auszubreiten. Es wurden Pläne geschmieden und erste Gedanken über einen möglichen Zeitraum konkretisiert. Der Rest ist Geschichte auf die ich in einem weiteren Teil eingehen werden.
Denn nun teleportiere ich mich gedanklich erst einmal wieder zwei Jahre später auf die verstaubten Wege in Griechenland. Umgeben von einer Unendlichkeit in Gelb und Braun. Abgetragene Weizenfelder überall, die Sonne ballert weiterhin auf mein geschändeten Kopf. Die Kopfschmerzen expandieren in alle Richtungen. Also so habe ich mir das vor zwei Jahren nicht vorstellen wollen. Kann ich nun in Anbetracht dessen dass ich länger nun mit körperlichen Problemen zu kämpfen habe, konstatieren, dass der junge Mann aus Bayern doch nicht so authentisch war? Oder ist der einfach ein Cyborg, oder wahrscheinlicher ein Reptiloid?
Hmm, jedenfalls geht es mit meinem Gesundheitszustand immer weiter bergab. Rein auf dem Papier ist es möglich bis nach Thessaloniki an einem Tag zu fahren. Fast schon im Sekundentakt aktualisiere ich Google-Maps um Motivation durch einen Prozess zu erlangen. Würde funktionieren wenn man dann auch sich bewegen würde. Vom Anspruch und der Wetterkondition her kann man diese Etappe mit vielen aus Deutschland vergleichen. Obwohl ich dann auch relativ ähnlich schnell am Ziel angekommen bin, hat mich dieser Tag unglaublich vieles abverlangt. Spaß und Erholung haben schon länger keine Rolle mehr gespielt. Wenn kleinstes Gehupe oder hinterherlaufende Hunde einen fix und fertig machen, dann weiß man dass der Nervenzusammenbruch nicht unweit ist.
Was für einen Tunnelblick wichtig ist? Musik oder Hörbücher hören, sich kleine Ziele setzen. An diesem Tag waren sie so klein, dass es teilweise sogar der nächste Hügel oder Baum ist. Zudem kann die Frustbewältigung durch Beleidigung von willkürlichen Dingen wie ein Ventil wirken. Da wird dann mal eben eine Kuh in Gedanken in den Fleischwolf geschubst, manchmal samt Bauer und Familie. So schlimm stand es um mich.
Mit unmenschlichen Kopfschschmerzen erreiche ich Thessaloniki. Wieder Euronen abheben und ab in das Zentrum. Dort selbstverständlich direkt ein Internet-Café ansteuern um sich ein persönliches Hospiz (aka AirBnb) rauszusuchen. "Ha! Da ist eins ja direkt hier unten am Hafen!" Und denke mir dabei, dass ich mir dadurch den kranken Aufstieg hoch oben in die Altstadt ersparen kann. Wie eine Himmelsleiter fährt man da von 0 auf 300 Meter hoch, so etwas habe ich noch nie gesehen. Nicht in Istanbul und auch nicht in Dubrovnik, Städte mit vergleichbarem Aufbau am Hang. So fahre ich zu der Adresse und warte....und warte und warte....
Gegen 14 Uhr sollte doch jemand da sein, ich klingel mich also im Haus um. Keiner weiß etwas von dem AirBnb und da ich kein Internet auf dem Handy habe beschließe ich zurück zum Café zu fahren.
....."Achsooo, es gibt eine zweite Adresse mit dem total identischen Namen in der Stadt. Schnell noch die Lippe blutig gebissen, 6 Menschen in unmittelbarer Nähe in den Fleischwolf geschubst und los gehts. Und wo geht es hin? Natürlich in die Altstadt, ganz weit oben. Den Rest erspare ich den Lesern an dieser Stelle.
Fast schon wie ein Blackout kann ich mich kaum an die nächsten zwei Tage erinnern. Mit Fieber und Schüttelfrost liege ich im Bett und traue mich nur für das geheiligte Pita Gyros auf die Straße. Eines Daywalkers gleich, meide ich Licht und Mensch und reagiere auf alle Sinne äußerst empfindlich. Zudem spüre ich ein starkes Brennen oberhalb meines linken Beines, irgendwas schwillt da an. So schaffe ich es tatsächlich ein einziges Mal durch Thessaloniki durchzulaufen um paar Fotos zu schießen, die den Menschen zuhause in Deutschland den Eindruck erwecken, etwa dass es mir gut geht oder ich einfach eine tolle entspannte Zeit erlebe. Selbst tief am Boden will man wohl noch das Gefühl vermitteln nichts Langweiliges zu erleben - irgendwie ziemlich albern.
Übrigens war Peter aus London zusammen mit seiner Freundin ungefähr drei Wochen nach mir ebenfalls in Thessaloniki. Ebenfalls wie ich lagen die beiden 3 Tage lang flach im Bett. Für Reisende wie Peter oder mich bildet Thessaloniki quasi den Abschluss einer intensiven Zeit im Balkan- und dem Dinarischen Gebirge. Was der Körper dort leistet ist nahezu unbegreiflich. Von Eindrücken erschlagen gönnt man dem Körper kaum eine Pause, ein Berg nach dem Anderen wird "gefressen". Doch schafft es der Körper die Anspannung für die Zeit in den Bergen aufrecht zu erhalten. Bereits in Skopje habe ich mich kränklich gefühlt, doch sobald es wieder darum ging Leistung abzurufen, dann gibt der Körper nicht etwa nach sondern suggeriert vollständige Fitness. So zumindest ist meine These.
Hier in Thessaloniki ist jedenfalls erstmal Schluss. Der Stecker wurde rausgezogen. Bedeutet für mich - ganze Ruhe. Ich muss meinem Körper die Genesung erteilen die nötig ist um mit gutem Gewissen weiterfahren zu können.
48 Stunden später sitze ich wieder auf dem Sattel. Das hat was von einem Resetknopf der zwar existiert aber so klein ist, dass ich mit meinen dicken Wurstfinger ihn nicht reindrücken kann.
Nun gut, so geht es über das Hinterland Richtung der Seen Koroneias und Volvi. Das Wetter ist weiterhin unerträglich heiß, die Bundesstraße ist lang und kahl - kaum ein Strauch, geschweigedenn Sträucher sind da um Schatten zu spenden. Dazu viele Diners und Werbeschilder am Seitenrand. Wüsste ich es nicht besser, dann könnte man meinen ich wäre in Arizona. In Stavros erreiche ich wieder das Meer - sind ganze 110 Kilometer. Da habe ich ja eigentlich viel geschafft, einzig der nervige Gegenwind bereitet mir Sorgen. Es ist strammer Ostwind. Da ich als hoch begabter Klimatologe weiss, dass das Wetter in diesem Bereich Europas oft sehr kontinuierlich lange erhalten bleibt, gebe ich vor dem Schlafengehen noch schnell ein Stoßgebet ab.
Anscheinend habe ich noch nicht genug Ablassbriefe gekauft, denn der Gegenwind bleibt auch am Folgetag mir erhalten. So fahre ich bis nach Kavola, bade hier und da noch im Meer, verschlinge die einoder andere Traube unterwegs von den Plantagen und hasse mein Leben für durchschnittlich 3,5 Minuten in der Stunde. Ich würde ja gerne noch mehr zu diesem Teil meiner Reise erzählen, mehr gibt es aber leider nicht. So vergehen die nächsten Tage bis zur Türkei. Ich fahre über Xanthi, Komotini und Alexandropoulis, meide mehr und mehr Cafés und Märkte um für mich bleiben zu können. Das Gefühl von Einsamkeit macht sich breit. Der einzige Kontakt besteht zwischen mir und den unzähligen Hunden die mich konstant wegbellen. Fahre ich auf einen kleinen Weg um eine alternative Route zu fahren werde ich wieder zurück gebellt, fahre ich auf einer kleinen Anhöhe um dort zu Campen werde ich wieder runtergbelllt. Ich fühle mich dieser Tage wie ein gebrochener Mann der jeden Konflikt und Kontakt aus dem Weg geht. Anecken möchte ich partout nicht und so fahre ich konstant die langweilige Bundesstraße entlang. Ich halte nicht für Fotos und schaue konstant auf mein Tacho - jeder vor mir liegende Meter wird runtergezählt. Wie Zeit, so ist auch dieser Tage das Gefühl von Distanz relativ.
Ich gehe in ein Kiosk und suche nach einer Erfrischung. Neben Wasser sehne ich mich nach einer Abwechslung, irgendwas lokales, denke ich ich mir. Eine zwei Literflasche hellen Traubensafts strahlt mich im Kühlschrank an. Der Kassierer schaut mich unglaubwürdig an und sucht nach dem Etikett. Er tippt 4 Euro ein. "Was, wie teuer ist denn bitte hier so ein einfacher Saft?" - frage ich mich. Draußen kurz dran genippt - die Sache war dann klar. Ich habe soeben 2 Liter regionalen Weißwein gekauft. So beschließe ich kurzerhand meine Selbstmitleidsschiene und Einsamkeit am Abend mit ein oder zwei Gläsern zu feiern. Natürlich blieb es nicht dabei und so entwicklelt sich eine für Aussenstehende grotesk anmutende Situation. Nachdem mir Musikhören ein wenig zu langweilig ist laufe ich auf die Felder raus, verfolge Schaafsherden und belle sie an. Fragt mich nicht warum - ich schiebe es nachträglich auf die Krankheit. Es ist mittlerweile stockdunkel, weshalb ich weniger Rücksicht auf meine Umwelt habe. So laufe ich geradewegs auf einen Stacheldrahtzaun zu, liege verheddert drin und fange an zu lachen. Als der Wahn dann irgendwann ein Ende nahm, betrachte ich den wunderschönen Nachthimmel. "Wahnsinn, ich bin einen Wimpernschlag vor der Türkei entfernt...!" - denke ich mir. In sentimentaler Stimmung falle ich in einen Schlaf und wache irgendwann verwirrt auf. Ich beschließe weitere Stunden noch im Zelt zu schlafen bis mich morgens dann ein Gefühl von vollkommener Zerknautschheit aufwecken lässt. Ein Gefühl als hätte mir jemand einen Schwert in den Brustkorb gerammt lässt mich sogar für einen Augenblick die schwer auszuhaltenden Kopfschmerzen vergessen lassen. Ich sterbe also gerade einen langsamen Sodbrandtod, kaum verwunderlich wenn eine Party mit zwei Liter Weißwein und einer verrückten Person so ausartet. Und so soll ich heute über die Grenze in die Türkei fahren?
"Hallo vertrauter Freund Herr Gegenwind! Wie geht es Ihnen? Oh, Sie sind ja heute so richtig aktiv unterwegs. Toll - auf eine gute Freundschaft!" Hab leider nichts mehr zum Anstoßen. Ich halte paar mal an, bin kurz vorm kotzen. Leider kommt aber nicht so richtig was raus. Mit diesem Stop and Go fahre ich bis zur Grenze. Flott noch eben die letzten Euros für Billo-Eis zum löschen gekauft und zack stehe ich dann auch am Grenzübergang. Hier wird mir dann auch sofort bewusst was die Türkei von Griechenland unterscheidet. Das nicht sonderlich alt aussehende Grenzgebäude wird von einem bomnbastischen Komplex aus Gates und Gebäuden ersetzt. Die Regierung in Ankara steht augenscheinlich auf Superlativen um ihre Macht bereits an der Grenze zu demonstrieren und zementieren. Ohne darauf näher eingehen zu wollen hat es sicherlich seinen Zweck erfüllt - ich war beeindruckt von diesem absurden Gebilde. Überraschend einfach und schnell komme ich durch und fahre einsam auf eine 4 spurige Autobahn entlang, während ich eine 5 Kilometer lange Schlange richtung Griechenland sehe. Ipsala ist die erste Stadt auf dem Papier. Die Liste an Erledigungen ist ziemlich lang. So brauche ich türkisches Geld, muss daher einen Bankautomaten finden. Zudem möchte ich dringend eine türkische Handykarte kaufen um dem Elend des internetlosen Daseins so schnell wie nur möglich zu entfliehen. Aber erst einmal sollte der beißende Hunger gestillt werden der mich schon eine lange Zeit verfolgt. Beim Geldabheben stehe ich dann vor dem gleichen Problem wie noch in Nordmazedonien. Anstatt klüger zu sein und den Wechselkurs in den letzten tagen bei Gelegenheit des Internetszugangs heraus zu finden, stehe ich nun vor dem gleichen Dilemma. Am Automaten frage ich mich also rum und bemerke recht schnell dass hier im Ort kein Mensch Englisch spricht. Nicht einmal Begrüßungswörter, Zahlen oder Floskeln. Spricht man jemanden auf Englisch an, so blickt man der puren Panik entgegen. Hatte ichdamit gerechnet, dass wenigstens junge Menschen sich auf Englisch im Smalltalk unterhalten können, so musste ich schockierend feststellen, dass auch diese mich mit einen Fragezeichen anschauen.
Als ich einmal nach einem Handyladen frage fängt eine junge Dame an mit schnellen Schritten die Flucht zu ergreifen. Vorsichtshalber kontrolliere ich meinen Atem. Direkt an der Grenze zur europäischen Union reagiert man fast schon allergisch auf nicht türkisch sprachige Menschen.
Nachdem ich einen Berg an Köfte in mich reingeschoben habe, gehe ich in einen Supermarkt. Dort soll es wohl Handykarten geben, vergleichsweise wie ALDI in Deutschland. Schnell noch alles eingekauft was ich für den Abend so brauche und ab zur Kasse nach der Karte gefragt. Ehe ich mich versehe stehen alle Bedienstete um mich herum und wollen helfen. Nur blöd wenn keiner Englisch spricht. So entwickelt sich eine Eigendynamik die ich so nicht gewollte habe. Kassen werden nicht mehr besetzt, es wird rumtelefoniert. Jemand packt mich sogar am Arm und geht mit mir die Straße weiter runter zu einem Kopiergeschäft - der Pass sollte eingescannt werden. Als ich zurück bin sehe ich dass der Betrieb auch weiterhin eingestellt ist. Letztlich bekomme ich also eine Sim-Karte, irgendwas mit "Warten und Aktivieren" wird mir noch auf den Weg gegeben. Und so verlasse ich wieder Ipsala um auf einem Maisfeld mein Zelt aufzuschlagen. Mittlerweile ist es so windig geworden, dass ich mein Zelt in der Nacht mit Seilen spannen muss um zu vermeiden dass es weg fliegt, samt Inhalt und mir.
Die auf dem Weg liegenden Städte Kesan und Malkana steuer ich garnicht erst an, denn dazu müsste ich den ganzen Tag lang den harten Nordostwind auf einer autobahn-ähnlichen Straße ertragen. Da eins von beiden schon schlimm genug ist beschließe ich mich im zick-zack fortzuwegen und alle Seen auf dem Weg mitzunehmen. Das kostet doppel so viel Zeit, spart aber Nerven. An einem tiefgrünen See angekommen muss ich erst einmal innehalten und verstehen dass ich tatsächlich an einem See und nicht etwa am Meer bin. Der Wind ist so stark, dass es einen richtigen Wellengang gibt. Trotz des verrückten Naturschauspiels bin ich der einzige und genieße die Zeit ohne Anstrengung. Fast schon die Zeit vergessen, beschließe ich zum nächsten See zu fahren um dort zu ratsen. Unten am Ufer angekommen schiebe ich mein Fahrrad an verdutzt blickende Angler vorbei bis zu einer Stelle die im Vergleich zu Rest weniger schlimm vermüllt ist. Generell fällt mir auch hier in der Türkei der teilweise katastrophale Umgang mit Umwelt und Müll auf. Getrennt wird schon gar nicht und nicht selten schmeißt man ihn rücksichtslos am Straßenrand weg. Ich beschließe meinen Platz aufzuräumen um ein wenig wohnliches Gefühlt aufzubringen. Dabei fällt mir auf dass überall Patronenhülsen rum liegen.
Nach einer wirklich schrecklichen Ausgabe von "Die drei ???" beschließe ich ins Bett zu gehen als ich bemerke dass einige Leute an meinem Zelt vorbei gehen. Zu müde um darauf zu reagieren versuche ich einzuschlafen. Mittlerweile ist die Luftmatratze so kaputt, dass ich nur noch auf Luft schlafe. Verlagere den Schwerpunkt des Körpers in die Mitte, so fliegen meine Beine förmlich in die Luft bis zur Decke, andersherum habe ich ein Hohlkreuz und mein Gesäß küsst dabei den Boden. Drehen kann ich mich auch schon längst nicht mehr. Alles in Allem eine sehr unbefriedigende Situation. Zudem werden die Nächter immer kälter was bedeutet dass ich meinen Schlafsack immer öfters benutzen muss Die Betonung liegt hier klar auf MUSS, da von Freiwilligkeit wahrlich nicht mehr die Rede sein kann. Bestialische Gerüche verbreiten sich wie eine Smogwolke im Zelt sobald ich den Schlafsack öffne. Der perverse Kreislauf sieht folgendermaßen aus: Trage Socken die schlimm riechen im schlimm riechenden Schuh - fahre den ganzen Tag Rad und schwitze - Abends/Nachts werden dann die kontaminierten Füße in den Schlafsack befördert. So entscheide ich mich teilweise lieber in der Nacht zu frieren als völlig benebelt in Ohnmacht zu fallen. Diese Nacht werde ich aber zunächst nicht etwa von Kälte und Geruch vom Schlafen abgehalten, dieses Mal Geräuche die wie ein Piepsen eines Detektors klingen. Was verrückt klingt ist tatsächlich so passiert. Nachdem ich einen Blick nach draußen wage sehe ich Personen mit Detektoren in unmittelbarer Nähe rumlaufen. In so einem Moment fängt das Gehirn an komische Verbindungen herzustellen. Paranoid stelle ich mir vor wie jemand hier erschossen wurden ist und nun mit den Detektoren nach den Beweisen gesucht wird. Warum sonst liegen denn hier Patronenhülsen rum? Und inmitten des Tatortes liege ich nun mit meinem Zelt also rum? Die Geräuche des Piepsen werde ich wohl nie mehr aus meinem Kopf bekommen. Wie lange das alles wohl ging kann ich nicht sagen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Irgendwann bin ich sogar fast soweit raus zu gehen um meine Hilfe anzubieten. In der türkischen App suche ich mir die Wörter zusammen um "Ich weiss von nichts!" sagen zu können. Irgendwann schlafe ich dann doch ein und wache lebendig wieder auf. Um mein Zelt herum ist auch noch alles beim Alten.
Der neue Tag beginnt wie der alte aufhörte - windig. Ich erspare mir mittlerweile das nervige Zick-Zack. Wollte ich doch einfach nur noch so schnell wie möglich in Istanbul sein. So fuhr ich über Tekirdag (unspektakuläre Stadt am Ausläufer des Bosporus). Da ich nichts gescheites zum Übernachten fand, entschied ich mich kurzerhand dazu auf einen "richtigen" Campingplatz zu nächtigen. Mit "richtig" meine ich in diesem Fall richtig strange. Alles wirkte verlassen, überall standen verstaubte Tische und Stühle rum. Der zuständige Platzwart lief einem ständig hinterher, ist ein Blatt vom Baum gefallen hat er es umgehend aufgefegt, hat man sich am Strand hingesetzt - so setzt er sich unkommentiert dazu. Ich aber brauche meine Ruhe und beginne in einer abgelegten Ecke die letzten Tage ein wenig Revue passieren zu lassen. So fange ich an über die letzten Tage auf meinem Handy wilde Gedanken aufzuschreiben:
Ich beginne mit gesenktem Kopf durch die türkischen Dörfer zu fahren. So versuche ich mich vor Blicken und teils Rufen der alten Herren im Dorfzentrum zu schützen. Wie albern, dass ich doch tatsächlich davon überzeugt bin, dass Ignorieren der beste Umgang für mich ist. Es ist ja durchaus als natürlich zu verstehen wenn man einem aus ihrer Sicht Paradiesvogel mir nichts dir nichts beim Tee schlürfen am Morgen vom Bistro aus begegnet. Die Highlights der Woche bis dato waren vermutlich die Kuh Yigma die gegen einen Zaunpfahl gelaufen ist, der Sohn des Neffen der Nachbarn aus Dorf 34 der mit seinem dummen Streich die Scheune fast in Brand gesetzt hat, oder ganz basal der wiederholte Anstieg von Lebensmittelpreisen. Damit möchte ich bloß nicht ein angeblich belangloses und ereignisarmes Leben im hohen Alter in türkischen Dörfern zynisch entwerten. Ich versuche lediglich mir selbst zu verstehen zu geben, dass obwohl ich morgens meinen Po am schlimmsten spüre, obwohl die Motivation nach der Abfahrt oft vergebens gesucht wird und obwohl auch ich lieber einen schwarzen Tee mit Menschen trinken und dabei andere Menschen begaffen und beurteilen will, das Verhalten der Menschen ganz natürlich ist. Unnatürlich wäre dagegen eine Reaktion meinerseits a lá "Waaaaaaas? Hab ich etwa was im Gesicht?!", Zungeausstrecken oder ein Konstrukt aus Scheuklappen als Helm zu tragen. Ich glaube zudem dass wir Mitteleuropäer einfach nicht mit Blicken zurecht kommen. Wenn jemand aufmichzukommend den Kopf nicht nach unten gesenkt hat, so ergeben wir uns spätestens nach 3 Meter Entfernung und beginnen mit dieser Demutsgebärde. Was mich betrifft, ich habe angefangen die Menschen zurück anzustarren. Teilweise lieferte ich mir spannende Duelle. Ich habe sogar wage in Erinnerung Respekt erteilende Zwinker zum Ende zugeworfen bekommen zu haben, womöglich aber auch nur in meiner Fantasy. ;-)
Mit diesem Gedanken verabschiede ich mich in die Nacht, werde natürlich noch netterweise von dem Campingplatzmann zu meinem Zelt begleitet. Für die letzten 110 Kilometer bis nach Istanbul nehme ich mir vor diese in zwei Tagen zu schaffen. Dies wird sich im übrigen auch als äußerst klug herausstellen. Ich fahre bis auf 40 Kilometer vor Istanbul vor um, so habe ich gedacht, einen ruhigen und entspannten Einreisetag nach Istanbul am morgigen Tag zu garantieren. Auf Höhe von Silivri beschließe ich den obligatorischen Abendeinkauf zu unternehmen. Vollgepackt und hundemüde schleppe ich mein Rad den Hang hoch. Direkt am Wasser habe ich keine Chance etwas zu finden, seit mehr als 20 Kilometer stapeln sich die Häuser hier nur so - wohl ein Vorbote auf Istanbul. Doch egal wo ich hingehe, nichts wo man seine Ruhe haben könnte. An einer Schwimmhalle möchte ich vom Inhaber wissen ob es okay wäre an dem anliegenden brach liegenden Gebiet zu zelten. "Geht leider nicht, denn ich könnte ja die Polizei auf mich aufmerksam machen" Was soll das denn nun heißen? Hat der Dreck am Schuh? Es sollte hier angemerkt sein, dass dieses Stück Land ihm gehörte.
Nun ja ich verliere fort an meine Geduld und auch den Willen zur Kommunikation. Gefrustet suche ich mir einfach eine Stelle aus und bleibe trotzig auf meinem Camping Stuhl sitzen, Sitzstreik aus Angst abgewiesen zu werden. Dabei schreibe ich meine nächsten Gedanken auf:
Habe ich ein Problem mit dem Allein sein? Oder ist es gar ausdrücklich von mir erwünscht? Weshalb beginne ich Menschen bewusst aus dem Weg zu gehen? Noch bis einschließlich Kroatien sahen die Umstände anders aus. Dort war es nicht unbedingt besonders einen Radfahrer auf einem vollgepackten Rad durch die Stadt fahren zu sehen. Doch ab Albanien wurden die Städte kleiner, abgeschiedener lagen sie zudem auch zueinander. Zudem könnte man durchaus erkennen, dass es den ein oder die andere nie weiter als zur nöchst größeren Stadt getrieben hat, sei es beruflicher Natur oder aus Versorgungsgründen. So oder so ist das wohl größte Wiedererkennungsmerkmal die mangelnde Englisch Kenntnisse. Artikulieren auf einer gemeinsamen Muttersprache ist schon etwas heiliges. Vielen Missverständnissen kann grob aus dem Weg gegangen werden, es ist nicht anstrengend und man fühlt sich ja quasi sogar geborgen. Hilft alles nichts wenn dein Gegenüber eine Arschgeige ist. Ich habe viele Menschen in den letzten Jahren kennen und lieben gerlernt deren Muttersprache eine Andere war. Der Kontakt blieb am Ende mit denen erhalten dessen Englisch weit über dem Small-Talk hinaus geht. Irgendwie schon traurig und faszinierend zugleich - die Erkenntnis welche Macht die Sprache besitzt.
Mit gerade einmal 5 Stunden Schlaf beschließe ich noch in der Dunkelheit aufzubrechen. Ich kann es einfach nicht mehr erwarten Istanbul zu spüren, zu riechen und zu sehen. Zudem bringt mich diese Matratze wirklich noch um! Relativ früh wird mir bewusst dass meine Vorfreude einen großen Dämpfer erhalten würde. Selbst am frühen Morgen quetschen sich die Autos nur so auf die dicke Bundesstraße, haben die Skills aber dabei gut und gerne 20 Km/H über erlaubt Stoßstange an Stoßstange zu fahren. Was das erzeugt? Puren Stress. Die eigene Fahrbahn ganz rechts wird zum Überlebensbereich und die Linie links davon ist mein Todesstreifen, es fühlt sich einfach so an. Wenn dann rechts mal eine Ausfahrt kommt, dann heilige Maria geht mir der Kackstift. Ich winke wie ein bekloppter mit meinem Arm um zu signalisieren dass ich gerne weiter fahren und nicht abbiegen möchte. So richtig mag das keiner zu akzeptieren und es knallen kurz vor Ende der Ausfahrt noch 1-2 Autos flott an mir vorbei um rein zu fahren. Als ich merke dass Geduld und Rücksichtnahme im Istanbuler Verkehr keine Rolle spielt, bleibe ich stehen und kurz inne zu halten. Da leider keine Alternativen bestehen (Außer man möchte 3 Tage sich im Kleinstraßen-Dschungel verlieren), entschließe ich mich die Kopfhörer einzuschalten, laute und gut stimmende Kubansiche Musik zu hören und straight meinen Weg zu fahren, mit der größten Konzentration die ich jemals aufgebracht habe. So schaffe ich es teilweise im Slalom Unfällen aus dem Weg zu kommen. Ich fluche wie ein Weltmeister, gestikuliere Eindeutiges und schaffe es tatsächlich so mich von Kilometer zu Kilometer zu bewegen. Die ersten Hochhäuser ragen aus dem Boden, Millionen von ihnen - so kommt es mir zumindest vor. Alles wird von mächtigen Betonklotzen dominiert, die Straße wird breiter und voller. Ich habe das Gefühl nah am Stadtzentrum zu sein. Auf die Karte schaue ich schon längst nicht mehr, seitdem ich den überlebenswichtigen Tunnelblick habe halte ich nicht mehr an. Doch so langsam schwindet meine Konzentration. Dieser blöde Flughafen will einfach noch nicht kommen und es geht immer wieder rauf und runter. Dabei waren es doch nur 40 Kilometer!? Ich beschließe anzuhalten um einen Blick auf die Karte zu wagen und dann das, mich trifft der Schock. Nein ich bin nicht falsch gefahren aber es hat sich schon so angefühlt. Ich saß immer noch an den Randgebieten von Istanbul fest. Ich konnte es nicht glauben, habe ich mich doch wie ein Irrer durch den Verkehr erfolgreich geschlagen. "Was soll ich machen? Ich muss eben weiter, immer weiter." - dachte ich mir. An einer Ausfahrt passierte es dann fast. Ein Autofahrer streift mich um die Ausfahrt noch schnell zu bekommen und nimmt mich um haaresbreite mit sich mit. "Steig aus du Wixxer, ich poliere dir die Fresse vor deiner Freundin, dann kannst du gerne zur Arbeit fahren" - es tut mir Leid für diese Worte, ich musste sie in diesem Augenblick einfach gesagt haben. Er hupt nachträglich fährt aber weiter, ich kann noch im Seitenspiegel erkennen wie die Freundin mit ihm "diskutierte". Während ich mich gerade von diesem rücksichtslosen Autofahrer abreagierte ist es dann passiert. Ich spüre wie ein Auto von links kommend mich zur Seite schlägt, ich reiße dabei die rechte Seite des Fahrzeugs auf, der Seitenspiegel fliegt weg. Alles in Sekundenschnelle. Als ich bemerke, dass mein Lenkrad durch die Aufprall quer steht, denke ich mir nur: Das kann es jetzt doch nicht gewesen sein.....
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Tanja Schumann (Montag, 07 Oktober 2019 13:58)
Dieser Cliffhänger, ich brauche mehr von diesem Lesestoff. *Blogwurm*
Dominique (Samstag, 12 Oktober 2019 21:56)
...je decouvre les photos du voyage que tu realises..c est extraordinaire et tres audacieux...je tapporte
Quel voyage audacieux...je te souhaite beaucoup de succes et de tres belles decouvertes durant cette aventure extraordinaire. Bonne route et surtout prends soin de toi...Dominique
Maman (Samstag, 12 Oktober 2019 22:11)
Coucou.... ich übersetze was Dominique geschrieben hat .
Was für eine gewagte Reise... ich wünsche dir viel Erfolg und sehr schöne Entdeckungen wärend diese außerordentlich Abenteuer.Gute Reise und vor allem pass gut auf dich auf ...
Ich hab dich Lieb und pass auf dich auf ... :)
Papa (Sonntag, 27 Oktober 2019 18:05)
Du schreibst toll. Hochachtung. Würde gerne an Deiner Seite sein. Glaube aber dass ich eher ein Klotz am Bein wäre. Freue mich schon auf den nächsten Eintrag.