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Besuch einer legendären Technoparty

Werde ich auch der Reise wählerisch? Noch zu anfang habe ich alles so genommen wie es kam. Ich habe mich nicht darüber beschwert wenn ich für eine Übernachtung auf einem Reiterhof fragen muss. Quatscht mich eine alte Dame dafür zu obwohl ich tod müde bin - Ich nehme es an, ist ja ein spannendes Abenteuer wo so etwas eben dazu gehört. 

10 Kilometer vor der Grenze nach Nordmazedonien suche in nach einem gescheiten Platz zum Campen. Es hat sich etwas verändert. Ich bin anpassungsfähiger denn je aber gleichzeitig auch eben nicht gewillt nach einem heißen langen Tag irgendwo mein Zelt aufzuschlagen wo es mir gegebenfalls nicht gefallen kann. 

Die erste Möglichkeit ist an einem reißenden Fluss. Dort angekommen gehe ich zu einer ablegend aussehenden Stelle, lege alles ab und springe erst einmal in das erfrischend kühle Wasser. Als ich auftauch, sehe ich wie eine Kuh an einer meiner Taschen rumknabbert. Eine Horde Kühe läuft an und teilweise über meine Sachen. 2 Hunde kläffen mich unentwegt an und ein Mann in zerrissener Kluft fuchtelt wild in die Luft als würde er ein Gewitter für mich heraufbeschwören wollen. Nun ja irgendwas scheint wohl falsch zu sein. So beschließe ich weiter zu fahren.

Nun wird man meinen dass die Entscheidung am Ort verweilen zu wollen ja nicht in meiner Hand lag, was auch stimmt. Jedoch hätte ich auch diskutieren oder einfach bleiben können da der Platz öffentlich zu sein schien. -

Dann versuche ich eben mein Glück wo anders. Die zweite Möglichkeit bot sich mir an einem ruhigen Feldplatz. Dort baue ich mein Zelt auf, die Lage sieht wirklich top aus. Beim Aufblasen der Matratze bemerke ich dass mein Zelt nicht mehr dunkelgrün sondern pechschwarz ist. Tausende fliegende Ameisen liegen, scheinbar von Farbe angezogen, Körper an Körper auf dem Zelt. Mich überkommt der Ekel, auch das Wegschlagen der Insekten hilft nicht, sekunden später kommen diese Mistviecher wieder zurück. Also Kommando zurück, alles wieder einpacken und weiter fahren.

Derweil liege ich ungefähr 2 Kilometer vor der Grenze. Es ist bereits so spät dass ich schon davon ausgehen kann, dass die Grenze bereits geschlossen hat. 

Die letzte Möglichkeit bot sich mir dann auf einer Plantage mit Weinreben. Hier im Hinterland weiter abseits von der Straße sollten doch keine Menschen, vor Allem nicht um diese Uhrzeit, sein. Der Boden ist hart, ich erkenne keine fiesen nervigen Ameisen. Ich hole das Zelt aus der Verankerung als ich nach vorne blicke und zwischen zwei Streuchern zwei Kinder mit einem Ball spielen sehe. Was zum Teufel soll das denn jetzt? Warum hier? - frage ich mir. Die Kinder gehen glücklicherweise den Berg runter, bleiben aber auf dem Feld zum spielen. Das Geräuch von spielenden Kindern und das Gefühl dass jederzeit unglücherweise der Ball zu mir fliegen könnte, womit mein Versteck entgültig aufgedeckt wäre, all das macht mich so fertig, sodass ich beschließe ein weiteres Mal alles einzupacken und weiter und somit über die Grenze zu fahren.

Grenze zu Nordmazedonien
Grenze zu Nordmazedonien

Ich werde also nach Mazedonien, oder wie es heute heißt "Nordmazedonien" getrieben. An der Grenze der obligatorische Bullshittalk. Auf eins der Charts rangiert unangefochten "Du kommst aus Deutschland? Ich bin FC Bayern Fan! - Thomas Müller - bester Spieler." Dicht gefolgt von "You - Bycicle? (Handbewegung) - Istanbul? Wow, crazy Boy! Here - No Good -Germany - Very Good!" Ich bin müde und genervt und reagiere selbst nur mit Wortfetzen. Zu meinem Glück darf ich dann auch zügig passieren und fahre an den mehr schlecht als recht überklebten Schilder mit der Bezeichnung "Welcome to North-Mazedonia" vorbei. 

So fahre ich zügig auf ein Feld zu und denke mir dass die Übernachtungsfrage einfach eine Frage der Nation ist. Als ich gerade mir den Stuss ausgeredet habe finde ich tatsächlich ein ruhiges Plätzchen. Auf dem ersten Blick gibt es hier nichts zu bemäkeln. Aber niemals den tag vor dem Abend loben. Schön ist es allemale. Auf der einen Seite säumen eindrucksvolle Berge die albanische Seite, auf der anderen sind es dichte Wälder und Felder die die Landschaft zeichnen. Ein wirklich tolles Bild wenn dann noch die Sonne dazwischen unter geht. 

Am nächsten Tag steuere ich zielsicher die erste größere Stadt an, Debar. Immerhin bin ich blank und ich sehne mich zutiefst danach kräftig Geld zu tanken um es schön dann wieder ausgeben zu können. Am Automaten angekommen fällt mir auf dass mir der Wechselkurs noch nicht bekannt ist. Ein tolles Ratespiel ist das: 250, 500, 1000, 1500, 2000 oder 3000. Ich denke mir dass die Mitte ganz vernünftig sei und mir für eine Woche Speis und Trank sichert. 1500 mazedonisches Monopolygeld wird ausgespuckt. Mit diesem unfassbaren Reichtum gehe ich in den nächsten "Supermarkt". Hab bock auf Eis-Kaffee - ach das kostet mich fast 100? Okay am Ende des Einkaufs was ich bereits ein-drittel meines Plastikgeldes los. Uffm wurde ich gerade abgezogen oder ist das einfach wenig Geld, frage ich mich. Anhand Spritpreise und weiterer Einkäufe schätze ich den Kurs auf 65 zu einem Euro ein, macht also 23 Euro die ich abgehoben habe plus noch mal 7 Euro Gebühren. Hach da fühlt man sich von dem Automaten nachträglich richtig wertgeschätzt <3. Hilft alles nichts, ich möchte mich nicht aufregen, liegt ein richtiges Highlight meiner Tour vor meiner Nase. Der allseits umwogene nordmazedonische Nationalpark "Mavrovo" schließt die Lücke zum Tal nach Skopje und tatsächlich hätte ich mir ein schöneres letztes Puzzleteil vor der Hauptstadt mir nicht aussuchen können.

Entlang tiefer Schluchten fahre ich fast schon einsam parallel am Fluss auf einer frisch gepflasterten Bundesstraße. "Oben" angekommen schließt mich ein tief blauer See in seine Arme. Da gibt es alte sozialistische Monumente die die Arbeiterklasse darstellen wie sie am Aufbau des Landes mitverantwortlich sind. Der Anblick dieser und damit der unlogischen Proportionen der Gliedmaßen bewirkt bei mir zunächst mehr Belustigung anstelle Respektes, auch weil Menschen den Platz als Müllhalde für beispielsweise Burgerkingtüten oder Starbucksbecher benutz(t)en. Ein unüberschaubarer Teil des Landes und seiner Geschichte bleibt er dennoch. 

Mit einem affenzahn bretter ich nach Gostivar runter. Dort begegne ich in einem Café einen jungen Mitarbeiter der mir den Kaffee für Umme gibt. Wir unterhalten uns ein wenig und ich erfahre dass er 19 Jahre jung ist, eine Tochter hat die bei seinen Eltern aufgezogen wird, da unter Anderem bereits die Mutter verstorben sei. Er selbst möchte gerne professionell Fußball spielen, weiß aber auch um seine Chancen. Da er wegen der frühen Familienbildung keine Ausbildung abschließen konnte kellnert er nun. Damit verdient er wenig, so wenig dass er sich nicht einmal seiner Tochter was schenken kann. Mir will er den Kaffee ausgeben und nimmt Geld partout nicht an. 

Er möchte abends noch mit mir was trinken um mich seinen Freunden vorzustellen. Ich bin ehrlich und entgegne, dass es kaum möglich sei wenn ich draussen ein Zeltplatz gefunden habe - ich kann ja nicht einfach so meine Sachen zurücklassen. Also fahre zum frühen Abend raus aus der Stadt. Abends muss ich beim leichten Krafttraining feststellen dass ich mittlerweile extrem viel Gewicht und Kraft im Oberkörper verloren habe. So richtig bewusst war mir das bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Klar konnte ich eine Veränderung meines Körpers mitverfolgen, doch aß ich immer so viele Kohlenhydrate, sodass ich den Haushalt gerade so noch aufrecht erhalten konnte. Oder mir ist es einfach nicht so aufgefallen. Jetzt erkenne ich mich jedenfalls nicht mehr wieder. Den leichten Rettungsring habe ich längst verloren, nun kann ich damit anfangen kleinste und hauchdünnste Adern an meinem Arm zu zählen. 

Die Nacht selbst war ein reiner Horror. Die Luftmatratze ist kaputt und bringt nicht mehr den erhofften und benötigten Komfort. Ich wache zerknirscht auf. Mir ist sau kalt, alles in klamm und ich habe wegen dieser blöden Matratze miese Rückenschmerzen. Hilft alles nichts, einschlafen kann ich schon längst nicht mehr und so beschließe ich ganz früh loszugfahren. Ich schleppe mich bis nach Skopje, zu meinem Glück geht es weitesgehend bergab. Bis zur Hauptstadt säumen die Straßen ausschließlich albanische Fahnen, generell habe ich nicht den Eindruck mittlerweile in einem anderen Land zu sein. Zudem wird ständig und überall Hochzeiten gefeiert, mit albanischen Fahnen auf der Motorhaube. Albaner feiern offensichtlich gerne Hochzeiten und das sollen auch alle so mitbekommen. Da ist es fast schon Normalität Mittwoch um 10 Uhr im Autokorso sich durch das müde Dorf durchzuhupen. In Skopje angekommen ragen viele alte sozialistische Bauten hervor und prägen somit das Stadtbild, zumindest von außen - aber dazu später. Skopje selbst ist recht A-typisch aufgebaut. Der Fluss Vardar mäandriert durch die Hauptstadt wodurch die Stadt länglich verläuft, im Süden ist sie durch den massiven Berg Vodno "abgeschlossen", somit sieht man trotz Häuser ständig den Berg und kann sich perfekt daran orientieren. Gerade wenn man neu in der Stadt ist, ist ein Verlaufen nahezu unmöglich, auch weil die Stadt nicht größer als Duisburg ist.

Ich fahre in ein zufälliges Viertel rein um ein Internetcafé aufzusuchen. Auf einer Datingseite lerne ich Vojo kennen. Auch wenn kein größeres Interesse füreinander besteht ist man sich auf Anhieb sympathisch. Wir beschließen uns am Abend zu treffen.

Mir ist weiterhin kalt und ich fühle mich eigentlich auch gar nicht so besonders gesund. Auch aus diesem Grund suche ich nach einem Airbnb Apartment. Nur leider erweist sich die Kommunikation als äußerst schwierig. Unterwegs fehlt es mir an Internet. Da der Typ des Airbnb sich jedoch nicht meldet mache ich einen auf Julia Leischek und erforsche mit investigativer Suche nach meinem Apartment. Was ich dazu habe ich ein Foto des Balkons und eine Eingrenzung des Wohngebietes auf der Karte. In der vermeintlichen Straße muss ich jedoch feststellen dass dieses Haus hier nicht existiert. Ich frage mich rum, erhalte jedoch null Resonanz. Ich gebe auf und suche mir ein Café auf um Zugang zum Internet zu haben. Aber auch dort angekommen finde ich weiterhin keine Antwort, womit ich mich dazu entscheide ihn mit dem Handy des Personals anzurufen. Ein Mann meldet sich an der anderen Leitung und erwähnt, dass es heute keinen Strom und kein Wasser gäbe. Ich solle doch für diese Nacht mir etwas anderes raussuchen und dann am morgigen Tag dort einziehen, wenn das Problem gelöst sei. Uff - der muss aber selbstbewusst sein mir so etwas anzubieten. Jedenfalls suche ich nach einem anderen Apartment und habe auch recht schnell einen Volltreffer. Ein kleines süßes Häuschen, nur für mich alleine, mit kleinem Garten und Vorplatz wo ich mein Rad abstellen und putzen kann. Und das im besten Viertel von Skopje, das gibt es aber auch wirklich nur in so einer Stadt.

Nachdem ich mich ein wenig fresh gemacht habe, treffe ich abends Vojo. Wir schlendern ein wenig rum bis wir einen Backladen ansteuern, zu vergleichen mit dem Backwerk in Deutschland, nur tausendmal leckerer. Ein weiterer Unterschied liegt darin dass vorzugsweise junge Menschen diesen Ort abends besuche, quasi als Jugendzentrum oder Bar. Wie vor einer Dorfdisco wartend versammeln sich die Jugendliche, sogar auf der Straße stehen einige rum was letztlich zu einem großen Verkehrschaos führt. Das alles für Börek und Kaffee. Wir beschließen abseits auf einer Wiese das sauleckere Börekt und Gebäck zu verschlingen. Eine Armada an Hunden belagert uns. Vojo, Zoowärter, redet auf die Hunde ein was dazu führt dass sich die Vierbeiner merklich beruhigten. Etwas verrückt ist die ganze Situation schon. Zum einen weil Straßenhunde herrenlos in Albanien und Nordmazedonien umher laufen, als Plage gesehen und misshandelt werden. Vojo jedoch gefühlvoll auf die Hunde einredet, ihnen einen Namen gibt und sie streichelt. Zum Anderen da in Folge dessen die Hunde um uns herum einen Schutzring aufstellen. Kommt ein Auto vorbei gefahren - rennen 2 Hunde los um es wegzubellen. Dabei schmeißen sie sich lebensmüde vor das Auto. Fast schon gerührt und Sorgeumfüllend sitze ich also da. Anschließend gehen wir für weitere Stunden bis tief in die Nacht durch die Stadt durch. Vojo beschließt sich mir zu öffnen und von seinen Schwierigkeiten als schwuler Mann, ein Leben in Vollkommenheit leben zu können, zu erzählen. Ohne darauf näher eingehen zu wollen sei an dieser Stelle erwähnt, dass ich nicht ausschließlich frustrierten schwulen oder heterosexuellen Menschen begegnet bin. Vielleicht passt es ein wenig in das Bild was wir haben wenn wir an Schwulen- oder auch Equalrights für Menschen aus dem Balkan denken. Erst vor kurzem gab es die erste Gay-Pride in Bosnien - was ein wichtiger Fortschritt ist. Jedoch lebt ein Großteil der LGBT Menschen ein stinknormales Leben ohne großes Outing oder Positionierung. Eltern, wie beispielsweise von Vojo, lieben ihren Sohn, sind ihm sehr nahe, pflegen einen sehr guten Kontakt, helfen sich gegenseitig und wissen eigentlich auch um die ganze Wahrheit. Doch schweigt man sich konstant an, Lügen werden erwartet, die an Unglaubwürdigkeit kaum zu überbieten sind. So hat man mit 36 Jahren einen "guten Freund" über mehrere Jahre nach Hause mitgebracht. er nimmt an Familienfeier teil und fährt sogar auch mit zum gemeinsamen Urlaub. Wie zerrissen muss es in den Köpfen aller Beteiligten aussehen, das frage ich mich dabei.

Am nächsten tag beschließe ich einen Ruhigen zu machen. Irgendwie fühle ich mich schwch und ausgelaugt. Zudem möchte ich das Rad wieder kräftig sauber machen. Als es dann glänzt packt mich dann doch die Lust und ich entscheide mich dazu den im Süden gelegenen Berg Vodno mit meinem Rad zu erklimmen. Jetzt wird man sicher sagen: "Das ist doch eine äußerst dumme Idee, gerade dann wenn man sich nicht gut fühlt!" Das war es auch dann tatsächlich. Jedenfalls spüre ich Hummeln unterm Po und schaue mir die Karte an. Viele gelb markierte Straßen bei GoogleMaps - diese geben ja in der Regel vor gute Straßen zu sein. Das dachte ich mir zu diesem Zeitpunkt, sie entpuppten sich jedoch als Dschungelpfade welche ab einem gewissen Punkt einfach aufhörten zu existierten. 2 Einheimische mit Handtüchern um die Schultern quälten sich hoch, müssen sich schon an den Ästen festhalten. Ich so: "Bleibt der Weg so schlimm?" Sie so: "Es wird noch schlimme, du solltest umkehren" Ich so: "Ich versuche es einfach mal." Anstelle der Vernunft tritt Ehrgeiz und blanke Struheit ein. Wie so oft auf der Tour folgt dieses "Ach jetzt bin ich schon so weit gefahren, jetzt kann ich es auch komplett durchziehen - wird schon besser werden..." denke ich mir. Tatsächlich wurde es noch nie besser und endete immer mit Schweiß, Blut und Nervenzusammenbruch. Und obwohl ich gerade darüber schreibeals würde ich es jetzt besser wissen kann man davon ausgehen, dass es beim nächsten Mal wieder so ausgehen wird. Irgendwann dann falle ich förmlich aus dem Unterholz raus und plumps auf die Straße. Zwei Frauen die augenscheinlich Nordic-Walking betreiben sehen mich, ich entgegne ein verlegenes Lächeln und grüße. Sie fangen an zu lachen und grüßen zurück. Hätte schlimmer ausgehen können. Hoch oben erwartete mich eine tolle Aussicht auf Stadt und dem anliegenden Gebirge. 

Durch dieses kleine Abenteuer wurde ich ein wenig hungrig. So entshcluss ich kurzerhand Fritten, Käsekroketten, Cordon Blue und Kroketten zu kaufen - Essen was ich sonst nicht auf der Reise zubereiten kann. Und da ich zu spät bemerkte, dass ich weder Frituese noch Backofen noch Mikrowelle mit Ofenfunktion im Apartment habe, fritiere ich alles in Topf und Pfanne. Das was folgt ist an Perversität kaum zu überbieten. In den folgenden 3 Tagen war mir noch schlecht. Ich also mit vollem Magen, bis zum letzten Millimeter mit Rapsöl gefüllt, überwinde mich dazu mein Dasein nicht im Bett mit Jammern zu verbringen, sondern zu der Bar/ dem Café zu gehen bei der ich am ersten tags zuvor noch Hilfe erhielt. Dort hat man mir gesagt heute Abend gebe es eine nette Technoparty. Mit Vojo habe ich mich dort verabredet.

Dort angekommen finde ich ein fast leeres Lokal vor. Ich mit einem schmitzigen Lächeln: "Hä, das sieht hier aber unerwartet tot aus..." der Barkeeper nuschelt irgendwas vor sich hin - ich höre so etwas wie "yeah, die Party ist später! Jetzt ist es noch ein Café." Etwas verwirrt aber weitesgehen zufriedengestellt setze ich mich im Windergarten hin und bestelle mir ein Bier. Ich warte, Vojo scheint sich zu verspäten. Eine Gruppe Frauen (wohl die einzigen Gäste) unterhalten sich offensichtlich über mich. Mir ist spei übel, ich suche bereits nach dem besten Ort im Raum um mich im Falle des Falles entleeren zu können ohne dass es für Gäste und Bedienung zu einer Katastrophe wird. Vojo ist immer noch nicht da, ich wechsel mittlerweile zu Wein, zumindest entscheide ich das schon einmal für mich. Ich frage die Bedienung nach einem leckeren Weißwein. Eine sichtlich verwirrt aussehende Bedienung geht - eine andere kommt - "Entschuldigung Sir, aber wir schließen jetzt." Ich so: "Ah, ihr schließt jetzt um später dann Eintritt von den Leuten zu kassieren, ich verstehe." Sie: "......" Verwirrt geht sie wieder. Nachdem ich zahle verlasse ich das Lokal und beschließe draussen auf Vojo zu warten. Doch so langsam kommt mir das ganze ein wenig Spanisch vor. Als sich die Bedienungen vor der Tür gegenseitig verabschiedeten und spätestens dann das Licht ausgeht stehe ich da wie ein begossener Pudel, ein Pudel der augenblicklich den Bürgersteig vollkotzen könnte. 

Skopje
Skopje

Am letzten Tag hat sich zumindest eine Sache aufklären lassen. Vojo ist eingeschlafen. 

Den letzten Tag in Skopje wollte ich mit purem Schlendern, Museumsbesuchen und Fotografieren verbringen. Nur blöd wenn am Sonntag alle Museen geschlossen haben - finde ich irgendwie sonderbar. Ich sag ja auch nicht Mittwoch nach Feierabend um 16 Uhr "Hey Schatz, lass mal noch flott für zwei Stunden Museen abfrühstücken!" Was mir blieb war die Innenstadt/das Zentrum. Hier konnten die Gebäude förmlich die Intention der Stödteplaner rausschreien. Das einzige was stimmte war die Unkontinuität. Keins passt zum Anderen. Es wirkte fast schon so grotesk als hätte man in einem katalog über besondere Monumente in europäischen Hauptstädte nachgeschlagen und mit Dartpfeilen eine bestimmte Auswahl dessen getroffen. Das Las Vegas des Balkans, nur ohne Bling-Bling. Also bevorzuge ich es weiter außerhalb die doch authentischere Variante Skopjes mit den kalten Bauten. Im übrigen kritisieren viele Menschen aus Skopje genau diesen Punkt. Man sehnt sich hier nach Bedeutung und einer "Seele". Skopje wirkt zwar europäisch und teils auch recht modern, jedoch fehlt es der Stadt an einer kulturellen Zugehörigkeit. Auch aus diesem Grund "flüchten" viele junge Menschen aus der Stadt und auch aus dem Land.

Vor der Abreise beshcließe ich noch im Café mit Vojo zu frühstücken. Weil er mir anmerkt, dass ich die ganzen Tage etwas kränklich bin und mir zudem sau schlecht ist, reicht er mir als Abschiedsgeschenk eine Tüte voller Aufbaupräparate aus der Apotheke. Richtig sweet!

So bin ich wieder auf der Straße, straight auf dem Weg gen Süden mit Motivation aber auch Zerbrechlichkeit im Gepäck. Zudem ist mir noch immer schlecht, aber es ist aushaltbar. Die Umgebung verändert sich in Folge des Tages immer wieder mal, wie ein Chamäleon. Von tief grün über trocken brauner Steppe, alles dabei. Als ich vom Weg abkomme und mich einem Schotterweg hoch schleppe, bemerke ich aus der Entfernung einen vollgepackten Radfahrer. Man braucht mittlerweile nicht viel um aus der Entfernung einen Casual-Fahrer von einem World-Traveller-Radfahrer zu unterscheiden. Als ich aufschließe, nebenher fahre und mich mit einem "Hey, wie gehts? Woher kommst du?" bemerkbar mache erwidert man mir "Germany". Viel mehr kam dann auch nicht mehr. Ich erfahre dass man zu viert reist und von München aus bis nach Thessaloniki fährt. Man ist vor 3 Wochen losgefahren, aus München. Wie auch bei mir. Und der Weg ist ebenfalls der gleich. Als ich erwidere dass auch ich zimelich zeitgleich von München aus losgefahren bin wurde das mit "Ah Okay..." beantwortet. Dass diese Jungs mir nicht gleich in die Arme fallen und die Lebensgeschichte erzählen, das ist mir durchaus recht aber das?? Mit dieser Gleichgültigkeit habe ich wirklich nicht gerechnet. Aber vielleicht braucht man auch keine Gesprächspartner wenn schon drei weitere vorhanden sind. So oder so entwickelt sich eine äußerst komische Situation. Dadurch dass ich schneller als die Gruppe unterwegs bin, jedoch öfters für Bilder pausiere, überholt man sich gegenseitig - und das ganze zwei Tage land bis zur griechischen Grenze. Von da an habe ich sie nicht mehr gesehen.

Vojo mit meinem Airbnb aus Skopje im Hintergrund
Vojo mit meinem Airbnb aus Skopje im Hintergrund

Am darauffolgenden tag begegne ich unterwegs Thierry (kein Witz! Erst Lionel und nun Thierry - Zufall?) Ein durch und durch sympathischer Franzose aus Bordeaux der schon seit März unterwegs ist. Thierry ist in den 40er und so wie er selbst sagt eigentlich faul und total unsportlich. Da er aber auch immer schon den Traum einer großen Fahrradweltreise hatte, beschloss er zeimlich spontan einfach mal loszufahren. Das eigentliche Ziel Asien hatte er dann irgendwann aus den Augen verloren da er von Europa nicht mehr genug bekam.Tatsächlich gibt es nichts was er nicht in den 5 Monaten in Europa gesehen hat. Er war sogar am nördlichsten Punkt Europas, da wo schon fast der Nordpol zum Greifen nah ist. So ist es mir wahrlich eine Ehre mit Thierry zu fahren. Er ist angenehm ruhig aber nicht auf dem Mund gefallen. Zusammen kommen wir an dem See Dojan an, welcher ziemlich genau in der Mitte die Grenze zwischen Nordmazedonien und Griechenland innehat. Zu unserer Überraschung ist es gestattet sein Camp direkt am Wasser aufzuschlagen. Keiner kassiert ab, keine bösen Blicke und sogar auch kein Müll. Nur ein paar Angler die interessiert zu uns blicken. Bei 2-3 Bier genießen wir die angenehme Abendluft und senieren ein wenig vor uns hin. 

Zack, boom. Innerhalb von 10 Minuten ist Thierry fertig. Abfahrtsbereit wenn ich gerade einmal mein Zelt zusammenfalte. Nach über einen Monat dachte ich, ich sei schon zeimlich zügig. Im Vergleich zu Thierry packe ich meine Sachen so langsam als stände ich unter Rauschgifteinfluss und dabei schafft er es noch akurater als ich zu sein.

Nun gut, trotzallerdem schaffen wir es sehr früh los zu fahren und erreichen die Grenze bereits gegen 8 Uhr morgens. Die nordmazedonische Grenzbeamtin "verabschiedet" uns noch besonders freundlich, ihr Lächeln sehe ich noch heute vor Augen. Dagegen scheint ihr griechisches Pendant etwas schlechter aufgestanden zu sein. Wortfetzen wie: "YOU - HERE - COME - NOW!!" und Fingerschnipsen mit genervtem Zungeschnalsen bewirkt bei mir sofort bockiges Verhalten. Ich kann mich nicht dagegen wehren aber ich kann einfach patout in diesem Moment mich nicht demütig verhalten. Da komme ich mir einfach ziemlich doof vor auch wenn mir durchaus bewusst ist, dass eine Gegenreaktion wie diese nicht gut enden kann. Ich lege mich also mit ihm an, sage "Piano, piano" und mache eine Handbewegung die ihm so garnicht passt. Thierry hinter mir stehend signalisiert mit seinen Augen "Bitte, spar die jede weiter Bemerkung! Ich möchte gerne noch in das Land rein, Zwinkersmiley". Trotz oder vielleicht gerade wegen meines Verhalten bekommen wir die Pässe wieder ausgehändigt und betreten griechischen Boden.

Zielstrebig fahren wir durch das Hinterland, die Straße entwickelt sich zunehmend zu einer Schotterpiste und dann passiert das was passieren musste: Thierry verliert das Gleichgewicht und knallt mit voller Wucht zur Seite hin. Dabei wird er förmlich von seinem Fahrrad begraben. Zum Glück ist nur der Seitenspiegel abgebrochen, was aber ausreicht, dass aus der Frohnatur ein fluchender Teufel wird. Da er nicht verletzt ist fahren wir weiter. Ich habe Kopfschmerzen des Todes. Die Nacht habe ich auch nicht sonderlich gut geschlafen. So richtig gesund fühle ich mich nicht seit Skopje. Auf der Fahrt kann ich mich kaum konzentrieren und bin froh dass nach gut einer Stunde sich die Wege von uns beiden trennen. Von nun an bin ich wieder alleine, das brauche ich gerade aber auch.

Sichtlich geht es immer weiter bergab mit meinem Gesunheitszustand. Rein auf dem Papier ist es möglich bis nach Thessaloniki an einem Tag zu fahren. Fast schon im Sekundentakt aktualisiere ich Google-Maps um Motivation durch einen Prozess zu erlangen - würde klappen wenn man sich auch tatsächlich bewegen würde. Vom Anspruch und den Wetterkonditionen her kann diese Etape mit der ersten Tour durch Deutschland verglichen werden. Obwohl ich dann auch relativ ähnlich schnell am Ziel angekommen bin, hat mich dieser Tag unglaublich vieles abverlangt. Spaß und Erholung haben schon länger keine Rolle mehr gespielt. Wenn kleinstes Gehupe oder hinterherlaufende Hunde einen fix und fertig machen, dann weiß man dass der Nervenzusammenbruch unweit ist. Was für einen Tunnelblick wichtig ist? Musik oder Hörbücher hören, sich kleine Ziele setzen (an diesem Tag waren sie so klein, dass es teilweise sogar der nächste Hügel oder Baum ist) oder auch Frustbewältigung durch Beleidigung von willkürlichen Dingen. Da wurde man eine Kuh in Gedanken in den Fleischwolf geschubst, manchmal samt Bauer und Familie. So schlimm stand es also um mich.

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Kommentare: 1
  • #1

    Papa (Sonntag, 29 September 2019 20:49)

    Wie immer ist es toll Deine Erlebnisse so plastisch erzählt zu bekommen.