Tag 6. Sonntag der 21. Juli 2019, 17:53, München - Ich sitze hier in meinem "eigenen" Zimmer, mir zur Verfügung gestellt um wieder sich wie ein Mensch fühlen zu dürfen. Neben mir liegt meine Kamera mit einem nicht mehr benutzbaren Objektiv, ein angeknabbeter Apfel - Marke, ach das Ettiektt habe ich wohl mitgegessen - und all dem Kram ausgebreitet der zuvor in 4 Taschen als Röllchenform reingestopft war. Irgendwie fühlt es sich fast schon so an als wäre ich keine 6 sondern 60 Tage unterwegs gewesen. Alleine wenn ich auf meine Arme blicke erkenne ich mich Ex-Weissbrot schon fast gar nicht wieder.
Lassen wir die Geschehenisse der knappen Woche mal Revue passieren. Los ging es am Montag in gefühlter herrgottsfrühe. Alles wirkte früh, oder sogar verfrüht. Ich hatte bis zum ersten nächtigen im Zelt nie wirklich das Gefühl von "So, es kann nun losgehen!". Bis wirklich auf die letzte Sekunde erstickte ich in einem Berg administrativer Erledigungen, dass ich zeitweise mit dem Gedanken spielte meinen 10 Zentner schweren Laptop auf Reise zu nehmen um mit gewissen Sachen nicht in Verzug geraten zu müssen. Irgendwie konnten die Sachen dann doch übers Knie gebrochen werden. Meine Nerven lagen blank, aber zumindest musste ich keine Verpflichtungen mehr nachgehen. Gepackt habe ich jedenfalls noch in selbiger Nacht. Die Lenkrattasche hat mir nach einem frustrierenden Arbeitstag um 02.00 dann den Rest gegeben. So blieb mir also nichts anderes übrig als mir den Schaum vom Mund abzuwischen. Geschafft habe ich es geschafft. Die Müdigkeit sollte siegen und jeden Zweifel erst einmal bei seite schieben.
So stehen wir also zu dritt da. Der Himmel ist bedeckt und scheint auch nicht wirklich viel Wärme spenden zu wollen. Meine Mutter völlig aufgelöst, der Blick von mir abgewendet, das Handy in der einen Hand und das zerfledderte Taschentuch in der anderen Hand. Vater redet in zynischer aber gleichzeitig auch nicht ernst gemeinter Art von Ausbeutung in Bangladesh, Mutter wiederholt ihre ermahnenden und erfürchtigen Sätze in bewundernswerter Art. Nun stehe ich da und hatte mir den Abschied anders vorgestellt, irgendwie leidenschaftlicher oder filmreifer? Im Nachhinein finde ich den Abschied aber toll so wie er war. Trotzdem war ich dann aber froh das endgültige Gewicht des Rads mit dem Betätigen der Pedalen ein erstes Mal zu spüren. Noch schnell zugewunken und dann war ich auch weg....
Genau eine Kurve dauert es für meinen ersten Stop. Also schwer und ungewohnt war das alles was ich trug schon, ausgehalten hätte ich es sicher aber auch noch paar Kilometer. Ich brauche aber Zeit. Ruhe. Zeit und Ruhe mich zu sammeln.
Ich verlasse meine Heimat Aachen - genauer genommen Aachen Brand. Weil mir mein Navi den Weg vorgibt, lasse ich mich treiben, höre Queens und entdecke Ecken deren Existenz mir nie bewusst war. Und schnurstracks erreiche ich dann auch Meckenheim - Mein erstes Ziel auf meiner (geplanten) einjährigen Reise.
Mit der Ankunft folgt sofort auch die Frage nach der Übernachtung. Schweißperlen kullern meine Stirn runter, halb von der Anstrengung, halb von der Vorstellung als Außerirdischer abgestempelt und des Platzes verwiesen zu werden. Sichtbar unentschlossen und eingeschüchtert führt mich ein Weg zu einem Reiterhof. Oh da werden ja sogar Parkplätze für eine Nacht auf einer Weide vermietet, sehe ich. Ich klopfe an einem schicken Haus mit noch schickerer Veranda. Eine Frau im höheren Alter macht die Tür auf. Kurzer Smalltalk und zack sitze ich in einer Küche, vor mir eine Tafel reichlich mit regionaler Speisen belegt. "Ich muss dir Herbert meinen Sohn zeigen, der bringt auch meinen Enkelsohn Herbert mit." (Kein Spaß, es stand sogar zur Debatte die kommende Tocher von Enkelsohn Herbert Herbertine zu benennen). Ich tod müde warte darauf einfach das okay für den Zeltplatz zu bekommen. Was folgt sind 3 Stunden kennenlernen und gloreiche Geschichten des Reiterhofes zu hören. Schließlich darf ich dann doch die Aufmerksamkeit auf mein Zelt richten. Völlig erschöpft von den vielen zurückliegenden Tagen und Nächten schlafe ich ein - 12 Stunden lang.
By the way merke ich gerade erst wie ausführlich das "mal eben Reveu passieren lassen" ausfällt. Ich versuche in kürzeren Abständen Bilder der Tour in diesem Blog Eintrag einzubauen. So soll es nicht ausschließlich den Charakter eines Romanes, sondern vielmehr eines derjenigen Urlaubsbücher haben die man irgendwo bestellen und mit allernötigsten Informationen wie "Essen war lecker" oder "Strand war leider voller Plankton" vervollständigen kann.
Jedenfalls wache ich auf, mache mein Zelt auf und blicke direkt in die starrende Augen der Omi. Mit einem leichten Infakt betrete ich das Haus, ich wurde zum Frühstück eingeladen. Ich bedanke mich höflich von Herbert Herbert und Omi und fahre voller Enthusiasmus gen Rhein. Es ist kalt, schweine kalt. Zwei Tage lang war es bedeckt und wie mit Zauberhand befreit sich der Himmel von seinen Wolken und es folgt ein Sommertag wie geschaffen zum Radfahren am Rhein. Rückenwind, 25 Grad, Wochentag - kaum Radfahrer. Ich fahre und fahre. Wie ein bekloppter, merke nicht wie ich die Kilometer fresse. Fast schon rückt die Schönheit des Rheins, in dem Wahnsinn unter dem ich mich befinde, in den Hintergrund, aber nur fast. Auf einer Bank mache ich Pause. "Ah endlich ein Deutscher, du ich sehe hier nur ausländische Fahrer. Und du wirst es nicht glauben, aber ich wohne ohne Meldeadresse oben auf dem Berg, die ganzen Schmarotzer hier unten die betteln und trinken, das sind alles Ratten. Es gibt die Kanalratten, die Landratten......" Ein nie endender Monolog eines Heros von der Straße lässt mich mein Mittagessen, bestehend aus Fleischsalat und Semmel (weil Kostengünstig), wie eben solches schmecken. Was bleibt mir anderes übrig als die Flucht nach vorne. So komme ich in Bingen an, mein nächster geplanter Halt. Aber ich will noch nicht so richtig aufhören und fahre weiter. Immer weiter. Komme also in St.Goar an und fahre erstmal den Berg hoch, weil ein Zelt bei 12 Grad Gefälle kaum stehen kann.
Tag 3. Und wie es so sein soll merke ich mein Gesäß. Es war abzusehen. Hatte ich doch zuvor die Chance gehabt Radlerhosen mit geiler Polsterung in großen Mengen einzupacken, ging ich davon aus, dass es nicht so schlimm werden würde. Es ist schlimm, so schlimm, dass ich teilweise mit einer Arschbacke fuhr um der anderen Seite eine Pause zu gönnen. Um es vorweg zu nehmen - meinem Arsch geht es besser, von Tag zu Tag.
Ohne dass ich es so wirklich mitbekommen habe verlasse ich also den Rhein. Früher als mir eigentlich lieb ist. Lief doch alles wirklich wie geschmiert, also fast alles. Kurz vor Mainz entschließe ich mich also eine gänzlich andere Route einzuschlagen wie es mir das Navi und somit ich selbst vorgab. An dieser Stelle sollte erwähnt sein, dass ich vor der Reise sehr viel Zeit damit verbrachte die Route minutiös und passgenau zu erstellen, fast schon zwanghaft bis auf jede einzelne Straße - und das bis einschließlich Iran! Nun denn, ich fühle mich gut, also kann ich zumindest bis Alzey fahren. Aus Alzey wurde Worms, aus Worms wurde dann Ludwigshafen aus Ludwigshafen dann Mannheim. In Mannheim angekommen setze ich mich erst einmal an einem Spielplatz wo offensichtlich türkische Familien sich nieder gelassen haben. Das dortige Viertel, so ambivalent wie kaum ein anderes, hippe Läden mit sau teurer Currywurst liegen gegenüber von Bergen von Müll, eingeschlagenen Scheiben und Metallstangen. Die Kinder spielen, was nicht unüblich an einem Spielplatz ist. Sie schaukeln jedoch nicht sondern beschmeissen sich mit Müll, schlagen mit den Stangen auf Bäume ein und (wirklich passiert) fesseln Kleinkinder im Alter von 1-2 Jahren mit Ketten an Gerüsten. Die Eltern knabbern währenddessen Sonnenblumenkerne vor sich hin. Wie durch ein Wunder passiert nichts schlimmes, am Ende lachen sogar alle, selbst die gefesselten Kleinkinder.
Völlig aufgelöst finde ich also in Mannheim glücklicherweise eine Schlafgelegenheit bei einer jungen Frau. Double Merci! Ich küss deine Augen, du hast mir damit unglaublich geholfen. Was drei Tage höchste Anstrengung mit einem machen, kann sich der ein oder andere denken. Aber nie geduscht oder zumindest eine Katzen-Wäsche unternommen zu haben, das ist unmenschlich. Sie hat also erbarmen und gibt mir Zeit mich wieder lebendig zu machen. In Folge dessen gehen wir was essen und ich erhalte die Möglichkeit die Stadt Mannheim so richtig kennen zu lernen.
Tag 4. Ich fasse mich kurz: Heidelberg, Schwabenländle, Patzige Bäckerverkäuferin, Fahrradwege die einen umbringen, meine Lenkrad Tasche die fast abfällt (Foto zeigt die Neigung von 30 Grad - Richtig wäre 90 Grad), ich werde zum Pfandgott - wo ich zuvor davon ausging, dass ein wenig Pfand nichts ausmachen würde rechne ich nun nur noch in Pfand Einheit. Ach und meine Kamera fällt hin. Wie das passieren konnte? Nunja die Lenkrad Tasche hängt gefährlich nach unten, fast schon am seidenen Faden. Ich mache die Tasche auf - Kamera fällt runter - Objektiv kaputt - Laune auch.
Ich finde Unterschlupf an diesem Tag in einer mir bis dato völlig unbekannten Region. Irgendwo 30 Kilometer südlich von Heilbronn. Die letzten Kilometer hatten es übrigens ins sich. Von Heilbronn 150 M. auf 550 M. innerhalb von 10 Kilometer. Danke Merkel. :)
Wäre ich lieber bei meinen Routen geblieben. Passiert, die Waden freuen sich.
Tag 5 sollte verheißungsvoll beginnen. Ich habe eine Schlafposition gefunden die es mir erlaubte so etwas wie Komfort zu spüren, was nicht leicht ist bei 5 Taschen und allem anderen Schnick-Schnack im Zelt. Und an diesem Morgen wache ich auf und werde nicht wie sonst von einer Sinnflut an Tau auf dem Zelt überrascht. Auch der Abbau verläuft reibungslos, eine liebe Frau von unten im Tal bringt mir sogar einen frischen Kaffee hoch. Oh mein Gott diese Frau habe ich in diesem Augenblick auf Händen getragen.
Nun sollte ich aber schon direkt zu Anfang die geballte Ladung Schwäbische Alm entdecken. Es geht auf und ab und ab und auf. Keine großen Dinger dabei, aber eben solche die auf Dauer einen gehörig auf den Zeiger gehen. Der Wille konnte zum Glück nie gebrochen werden. Und so erreichte ich den Augsburger Wald westlich von Augsburg. Flott nocht im Edeka mich mit allem nötigen eingedeckt und mein Plätzchen rausgesucht.
Weil mich Mücken terrorisieren mussten, ist es mir sogar gelungen meine gerade gekochten Gnocchis samt Gaskocher wegzuschlagen, alles landete im Kies. Verletzt wurde niemand, dafür gab es crunchiges Essen.
So erreichen wir Tag 6 und damit den letzten Tag bevor ich München als erstes Ziel erreiche. Tatsächlich habe ich es geschafft vor den Toren Münchens zu stehen und das einen Tag eher als eingeplant, Rückenwind und Fleischsalat sei dank.
Was soll ich sagen? Traumhafte Bedingungen bis einschließlich Ausgburg. Wer das Naturschutzgebiet nord-östlich von Augsburg noch nicht kennt...sofort hin da. Und auch Augsburg selbst ist ein richtiger Hingucker. Eine herausragende Altstadt und ein noch schönerer "Wäldchen" in unmittelbarer Nähe. Und im generellen sollte an dieser Stelle die Schönheit Deutschlands in Form von prachtvoller und gesund aussehender Natur hervorgehoben werden. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht durch dieses Land zu reisen und das trotz voll gepacktem Vehikel. Die Menschen waren durchweg mir und meiner Sache gegenüber positiv gestimmt. Keiner, selbst in Bayern, hatte ein Problem mit dem Campen. Ganz im Gegenteil, lauter sympatischer Personen die natürlich in deutscher Manier zaghaft, sich jedoch stets freundlich und interessiert zeigten.
Das alles ändert sich dann aber schlaghaft mit der Fahrt nach München, insbesondere im direkten Umkreis der Stadt. Alles wirkt hektisch, keiner hat mehr Zeit und Lust auf andere Rücksicht zu nehmen. Ständig wird rum gehupt, gepöbelt. Vielleicht lag es auch an meinen eigenen Nerven. Es ist heiß an dem Tag, sehr heiß. Die Beine fangen an zu zwicken, wie auch mein rechtes Knie. Ich werde zunehmend wehleidiger. Jeder Kilometer den ich zum Zentrum und damit zu Michael und Christina, meinen Gastgeber der nächsten zwei Tagen, näher komme wird wie ein Messerstich mehr in meine Gliedmaßen. Sogar an die letzten Minuten kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern. Ich war wie in Trance.
Angekommen, versuchte ich mir meinen Zustand nicht anmerken zu lassen. Christina meinte nur im Nachhinein "Man hat dir das so angemerkt, nach einem Bier und der Dusche konnte man wieder mit dir was anfangen".
Die nächsten zwei Tage kann man getrost als vollkommendes Wellness-Programm bezeichnen. Wir waren zwar nicht in einem Spa, es fühle sich aber stets so an. Ich hatte wieder Menschen mit denen ich sprechen konnte und das auch sehr gut. Tolle Gespräche in geselliger Runde, ganz klassisch im Biergarten. Wir haben gut getrunken und auch gut gegessen. Toll dass man solche Menschen im Leben um sich herum hat, das weiß man in solchen Situationen sehr wertzuschätzen.
Nun sitze ich, mit einigen Unterbrechungen, also um 00:40 und bin immer noch nicht fertig. Morgen geht es in die Alpen, das ist zumindest der Plan. Ein Ersatzobjektiv habe ich ebenfalls für morgen früh in Aussicht gestellt, sowie neue Schrauben und Muttern für meine Lenkradtasche. Irgendwie fühle ich mich fast wieder wie vor einer Woche. Die Aufregung ist jedenfalls wieder da.
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Black (Montag, 22 Juli 2019 08:30)
<3
Bigay (Montag, 22 Juli 2019 08:41)
Hallo Liebe Laurent,viel Glück � viel Spaß und und viel Erfolg wünsche ich dir �
Véro (Montag, 22 Juli 2019 09:00)
sehr schön erzählt, du könntest ein Buch schreiben .Bonne route et gros bisous :)
Chubi (Montag, 22 Juli 2019 09:55)
Guter Text du alte Kutte :*, respekt. Mit dem Buch, naja ;D.
Möge dir Wafacash immer gnädig sein.
Dana (Montag, 22 Juli 2019 10:39)
Ich sitze gerade in der Bahn von Karlskrona nach Kopenhagen und ich könnte mir nichts schöneres Vorstellen, als das hier zu lesen.
Ziemlich beneidenswert.
Gute Reise �
Michel NL (Montag, 22 Juli 2019 12:08)
Bin sehr beeindruckt von dein Bericht zu , wünsche dir eine schöne Zeit.
Gruß Michel
Die hünsches (Montag, 22 Juli 2019 21:46)
ahhhhh ich will mehr lesen !!! Das klingt so spannend �
Knutscher an dich <3
Papa (Mittwoch, 24 Juli 2019 17:56)
Toller Blog. Ich freue mich schon auf mehr. Konnte nicht aufhören zu lesen.
Enver (Mittwoch, 24 Juli 2019)
Gute Reise und viel Spaß Laurent,
Respekt ��������
Constantina (Dienstag, 03 März 2020 18:39)
Lieber Laurent, ich erinnere mich sehr gut an den Tag Deiner Abreise und die Gefühle und Ängste der Eltern, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen. Mama Veronique ist unendlich stolz und das kann ich verstehen. Zum nächsten Geburtstag am 1.Juli bist Du sicher wieder heil in der Heimat?! Dein Mannheimer Spielplatzerlebnis lässt mich schmunzeln und auch die Begegnung oben am Berg mit dem Mensch, der so " liebevoll " von Ratten und Landratten spricht, ausgerechnet bei Dir!!
Ich hätte Dich bald nicht wiedererkannt auf den Bildern, wowow :-) Naja, zuletzt sah ich Dich bei unserem gemeinsamen Hausarzt an der Rezeption.
Eine tolle Leistung hast Du hingelegt, mit dem Rad, mit dem Bericht und dem Mut, auf diese Reise zu gehen. Bravo ! Lieber Gruß Constantina
Wolltest Du kein Eis mit Christina und Michael essen ?